Zwei Lehren aus einem Pontifikat

Das Pontifikat Benedikts XVI. ist zuende. Die beiden vielleicht wichtigsten Lehren für mich verbinden sich mit dem Anfang und dem Ende der Amtszeit des jüngsten Papstes.

Als 2005 Papst Johannes Paul II. starb und Joseph Ratzinger zu seinem Nachfolger gewählt wurde, als Papst Benedikt XVI. im Sommer zum Weltjugendtag nach Köln kam, da wurde mir klar, was Weltkirche bedeutet. Deutschland mochte zwar jetzt Papst sein, der Nabel der katholischen Welt war und ist es deshalb noch lange nicht.

Seitdem schaue ich auf manches, was uns hierzulande in Kirchenkreisen intensiv zu beschäftigen scheint, mit einem gewissen inneren Abstand. Deutschland mit seinen (noch) nahezu gleichgewichtigen konfessionellen Gruppen ist und bleibt im weltweiten Maßstab ein Sonderfall.

Und während wir hierzulande Kirchen schließen und Gemeinden fusionieren, weil uns die Gläubigen abhanden kommen, wächst die Weltkirche kräftig weiter. Allein von 2004 bis 2010 (jüngere Zahlen liegen noch nicht vor) stieg die Zahl der Katholiken um nahezu 100 Millionen, von 1,098 Milliarden auf 1,196 Milliarden.

Eine zweite wichtige Lehre lässt sich mit den Stichworten Demut und Gehorsam beschreiben. So heißt ein kleiner Band aus Münsterschwarzach, den mir vor einigen Monaten mein geistlicher Begleiter ans Herz legte. Was Demut und Gehorsam bedeuten, hat Papst Benedikt mit seinem Amtsverzicht auf eine völlig neue Weise gezeigt.

Wie leicht lässt sich Demut mit Kleinmut verwechseln. Wie schwer fällt mir der Gehorsam gegenüber meiner Berufung und dem, der mich beruft. Welche Ausflüchte bringe ich vor, wenn es um ganz konkrete Fragen geht. Wie oft scheinen mir allerlei praktische Hindernisse übergroß im Weg zu stehen.

Ich denke an einen berühmten Satz von Papst Johannes XXIII.: „Giovanni, nimm dich nicht so wichtig.“ Papst Benedikt hat seinen Amtsverzicht als eine neue Berufung gedeutet. Eine kühne Deutung für einen kühnen Schritt. Schaue ich auf meine Berufung, dann möchte ich ihr mit ebensolchem Mut und ebensolcher Demut folgen können.

Gottesknecht

In dieser Stunde tritt die Hoffnung auf den „Neuen Bund“ hervor, der nicht mehr auf der immer brüchigen Treue menschlichen Wollens gegründet, sondern unzerstörbar in die Herzen selbst eingeschrieben ist (vgl. Jer 31,33). Der Neue Bund muss, mit anderen Worten, auf einen Gehorsam gegründet sein, der unwiderruflich und unverletzlich ist. Dieser nun in der Wurzel des Menschseins gründenden Gehorsam ist der Gehorsam des Sohnes, der sich zum Knecht gemacht hat und allen menschlichen Ungehorsam in seinem bis in den Tod gehenden Gehorsam aufnimmt, durchleidet und überwindet.

Gott kann den Ungehorsam der Menschen, all das Böse der Geschichte nicht einfach ignorieren, nicht als belanglos und bedeutungslos behandeln. Eine solche Art von „Barmherzigkeit“, von „bedingungsloser Vergebung“ wäre jene „billige Gnade“, gegen die sich Dietrich Bonhoeffer vor dem Abgrund des Bösen in seiner Zeit mit Recht gewandt hat. Das Unrecht, das Böse als Realität kann nicht einfach ignoriert, nicht einfach stehengelassen werden. Es muss aufgearbeitet, besiegt werden. Nur das ist die wahre Barmherzigkeit. Und dass Gott nun, weil die Menschen es nicht zustande bringen, es selber tut – das ist die „bedingungslose“ Güte Gottes, die nie gegen die Wahrheit und die ihr zugehörige Gerechtigkeit stehen kann. „Wenn wir untreu sind, bleibt er doch treu, denn er kann sich selbst nicht verleugnen“, schreibt Paulus an Timotheus (2 Tim 2,13).

Diese seine Treue besteht darin, dass er nun nicht nur als Gott gegenüber den Menschen handelt, sondern auch als Mensch gegenüber Gott, und den Bund so unwiderruflich fest gründet. Deshalb gehört die Figur des Gottesknechtes, der die Sünden vieler trägt (Jes 53,12), mit der Verheißung des unzerstörbar gegründeten Neuen Bundes zusammen. Diese nicht mehr zu zerstörende Eingründung des Bundes im Herzen des Menschen, der Menschheit selbst, geschieht im stellvertretenden Leiden des Sohnes, der Knecht geworden ist. Von da an steht der ganzen schmutzigen Flut des Bösen der Gehorsam des Sohnes entgegen, in dem Gott selbst gelitten hat und dessen Gehorsam daher immer unendlich größer ist als die wachsende Masse des Bösen (vgl. Röm 5,16-20).

Joseph Ratzinger, Benedikt XVI.: Jesus von Nazareth, Band II, S. 152f.