Oder: Wie man ein ambitioniertes Projekt möglichst schnell in die Grütze reitet. In 25 einfachen Schritten.
Prolog
Die folgende Liste ist insofern fiktiv, als sie eine Strategie voraussetzt, die ich in der Realität nicht unterstellen möchte. Im Gegenteil – ich nehme an, dass die unten beschriebenen und interpretierten Vorgänge einer Mischung aus Unerfahrenheit und Unsicherheit entsprungen sind (aber auch das ist nur eine Vermutung).
Was ich beschreibe und interpretiere, ist allein der öffentlich entstandene Eindruck. Für sein Image ist jeder selbst verantwortlich, der in der Öffentlichkeit agiert, und sei es nur die Halböffentlichkeit der Blogozese. Es ist eine Aufgabe professioneller Öffentlichkeitsarbeit, größte anzunehmende Unfälle wie den hier geschehenen zu vermeiden.
Und damit Vorhang auf für
Angst, Unsicherheit und Zweifel
Der Softwaretitan Microsoft verfolgte über lange Zeit erfolgreich eine Strategie, die fear, uncertainty and doubt in den Köpfen der Konsumenten zu verankern trachtete. Diese Strategie setzt auf Kontroversen, ist nicht ohne Risiko und nur für einen marktbeherrschenden Absender geeignet, wenn sie nicht ins Desaster führen soll.
Was passiert, wenn eine Horde Greenhorns im Web mit Elementen einer FUD-Strategie arbeitet? Wir werden sehen. Die folgende Polemik (sic!) ist nichts für Leute mit schwachen Nerven. Bitte anschnallen und das Rauchen einstellen.
- Wähle einen möglichst hochtrabenden Namen für ein neues Webprojekt. Nenne es zum Beispiel Kompendium, wenn kurz zuvor ein gewichtiges Werk gleichen Namens erschienen ist. Das signalisiert einen gewissen Anspruch, ja Größenwahn.
- Macht es wie die taz in ihren frühen Tagen: Tretet als Gruppe ohne nach außen erkennbare Gesamtverantwortung auf. Das gibt jedem die Möglichkeit, sich nach Belieben von allem zu distanzieren, was Mitautoren schreiben.
- Attackiere möglichst umgehend jene Communitas, in deren Feld du dich gerade begibst und die eigentlich dein natürlicher Verbündeter wäre.
- Bleibe vage. Verzichte auch auf Nachfrage darauf, deine Thesen zu begründen oder zu konkretisieren. So säst du erfolgreich Zweifel. Niemand weiß, wer gemeint ist, aber jeder muss sich fragen, ob nicht er. Verbreite schlechte Stimmung!
- Zitiere indirekt und setze möglichst keine Links. Damit behältst du maximale Deutungshoheit, weil der Rückzug immer offen bleibt. Haut man dir deine Aussagen um die Ohren, waren sie halt ganz anders gemeint. Leg dich bloß nicht fest. Verbreite Unsicherheit!
- Stelle eine Liste thematisch verwandter Blogs zusammen und versieh sie mit einem Warnhinweis („Die frommen Bezeichnungen einiger Blogs sagt nichts über die Gesinnung ihrer Schreiber aus. Hier werden persönliche Standpunkte vertreten, die mit der Lehre der Katholischen Kirche nicht immer vereinbar sind“). Möglichst pauschal. Bloß nicht differenzieren oder konkret werden!
- Schließe die Debatte, sobald sie unangenehm für dich wird. Verbräme dies mit Hinweisen auf den Rat geistlicher Väter oder montierten Zitaten aus Briefen des Apostels Paulus.
- Wirb aktiv um die Mitarbeit anderer Blogger, aber weise sie zurück, sobald sie dieses Angebot annehmen. Lass den Zurückgewiesenen wie den Dummen oder den Schuldigen aussehen. Gib dir keine Mühe, einen solchen Eindruck zu vermeiden.
- Schreibe schlecht recherchierte Polemiken über beliebige Äußerlichkeiten der Blogs aus deinem Umfeld.
- Zitiere Unbekannte oder (noch besser) fiktive Autoritäten, um deine Meinung zu stützen.
- Gieße Hohn und Spott über jeden aus, der sich über Inhalt oder Stil beschwert.
- Versuche jetzt, die so gewonnene Aufmerksamkeit für eine Sachdebatte zu nutzen. An der aufgeheizten Atmosphäre tragen nur die anderen Schuld. Spaßbremsen, das.
- Sei arrogant. Teile allen mit, dass du mehr weißt als sie, aber sag auf keinen Fall, was es ist.
- Erfinde Schlagworte wie zeitgemäßes Net-Apostolat, nimmt sie für dich in Anspruch und sag deinen Gesprächspartnern, dass ihr Verständnis veraltet sei. Verzichte auf Erläuterungen. Arbeite mit wachsweichen Ankündigungen, aber löse sie auf keinen Fall ein. Säe Zweifel!
- Diskutiere kräftig mit, aber lösche deine Diskussionsbeiträge, sobald du merkst, dass die Debatte an Hitze gewinnt. Die anderen sind die Dummen.
- Verstehe keinen Spaß, aber verlange von deinen Gesprächspartnern, dass sie über Scherze auf ihre Kosten lachen. Jeder erfolgreiche Chef schüchtert so seine Untergebenen ein.
- Lege nach, so schnell es geht. Im gleichen Duktus, ohne Rücksicht auf die Fakten.
- Weist man dir Fehler nach, weiche aus und sprich lieber davon, dass es um eine Gesinnung geht und nicht um den kleinkarierten Nachweis eines Widerspruchs im Detail.
- Wundere dich nicht über das verheerende Echo.
- Sei beweglich. Finde einen Beitrag morgens früh genial komisch, den du ein paar Stunden später löschst. Bezeichne es am Abend des gleichen Tages als Boshaftigkeit, wenn dieser Beitrag anderswo im Netz auftaucht. Jetzt steht der Autor, morgens noch der Held, für dich plötzlich am „öffentlichen Pranger“. Erwarte von jedem, dass er deinem Meinungsumschwung folgen kann.
- Versuch es auf keinen Fall mit Dialog. Drohe mit der Staatsgewalt, um deine Interessen durchzusetzen. Setze auf Einschüchterung und verbreite Angst. Verzichte auf Begründungen, gewähre keine Bedenkzeit. Denk daran: Nur deine Interessen zählen, der Rest der Welt ist dir egal.
- Du bist der Gute. Wer sich dir in den Weg stellt, ist der Böse. Wer das nicht versteht, ist uneinsichtig.
- Dein Wille geschehe. Setze deine Drohungen möglichst schnell in die Tat um. Beantrage einstweilige Verfügungen. Du kannst nicht warten, willst nicht argumentieren, sondern nur eines: dich durchsetzen. Um jeden Preis.
- Wundere dich nicht über das verheerende Echo. Wer mit deinem Vorgehen nicht einverstanden ist, will dir nur Böses.
- Du bist die verfolgte Unschuld. Die anderen stellen dir nach. Sie verstehen überhaupt nichts. Sag ihnen das. Du hast kein Kommunikationsproblem. Du nicht.
Epilog
Natürlich war alles ganz anders. Ich bin nicht neutral, sondern Partei. Der Mensch, mit dem ich mich am Mittag noch zum Kaffee verabredet hatte, reicht am Abend des gleichen Tages einen Antrag auf einstweilige Verfügung gegen mich ein. Dazwischen lag genau eine Mail, deren voller Wortlaut bekannt ist. Kein weiterer Kommunikationsversuch, keine Bedenkzeit.
An mich trägt er die Erwartung heran, ich möge mich einsichtig zeigen. In was bitte? Wo ist die Rechtfertigung für einen juristisch bewehrten Angriff auf mich? Wo ist überhaupt die Begründung, die über den blanken Willen zur Macht hinausgeht? Ich sehe keine. Was übersehe ich?
Ich bin es gewohnt (seit 1994), Differenzen im Internet per Palaver zu klären. Und zwar im Medium selbst. Schon der Griff zum Telefon ist eine eher seltene Eskalationsstufe. Aber der Griff zur juristischen Keule überschreitet alle Grenzen. Der Höflichkeit, des Respekts, des Anstands.
Stresstest nicht bestanden, würde ich sagen, wenn man mich fragte. Zu welchen Kurzschlussreaktionen käme es denn, wenn es mal wirklich ernst wäre? Keine Ahnung. Muss ich Angst haben?
Wenn ich einen Strich unter die oben glossierten Ereignisse der letzten Monate ziehe, dann erkenne ich einen Kampf (sic!) um Deutungshoheit. Ich sehe einen neuen, aggressiven Mitspieler, der den Ton und die Mittel der Auseinandersetzung erheblich verschärft hat, der sich und seinen Anspruch vehement verteidigt und mit aller Kraft darum ringt, seinen Kontrahenten die Schuld in die Schuhe zu schieben.
Aber wahrscheinlich sehe ich nur Gespenster.