Ein Verstoß gegen die Predigtregeln

Am vergangenen Sonntag habe ich in der Hildesheimer Basilika St. Godehard eine bemerkenswerte Predigt gehört. Der Prediger war ein jüngerer Diakon, einer der Benediktiner aus der Jerusalemer Dormitio-Abtei, die dort leben. Für ihn war es die Abschiedspredigt nach einem mehrwöchigen Aufenthalt. Das veranlasste ihn, über eine Grundsatzfrage zu predigen:

Warum sind Sie überhaupt hier?

Eine gute Frage, auf die der Prediger auch eine Reihe von Antworten wusste. Ich möchte darauf verzichten, den Inhalt der Predigt hier wiederzugeben. Bemerkenswert war sie, weil ich ihr von Anfang bis Ende folgen konnte. Das ist leider nicht die Regel. Bei den meisten Predigten schlafe ich ein. Und zwar nicht bildlich gemeint, sondern wörtlich. Ich schaffe es einfach nicht, der Predigt zu folgen. Die Müdigkeit ist stärker.

Wir haben es geschafft, aus der aufregendsten Geschichte der Menschheit einen echten Langeweiler zu machen. Vor lauter Aus- und Abgewogenheit, vor lauter Mäßigung und klugen pastoralen Zumutbarkeitsüberlegungen haben wir die Botschaft des Evangeliums wie in einem weichen Kissen gedämpft und abgefedert. Die wenigsten Predigten regen auf, und wenn, dann meist aus den falschen Gründen – weil sie nicht die Lehre der Kirche verkündigen.

Diese Predigt jedenfalls dauerte 25 Minuten, wie ich hinterher erfuhr. Ich selbst schaue während der Heiligen Messe nicht auf die Uhr. Die himmlische Liturgie, in die wir da eintauchen, kennt kein zeitliches Maß. 25 Minuten sind selbstverständlich viel zu lang, die Predigt war zu wortreich und schlug unnötige rhetorische Schleifen, wie mir hinterher gelehrtere Menschen als ich es bin erklärten. Es fiel sogar das böse Wort vom Wortdurchfall.

Mir ist das egal. Diese Predigt hat mich berührt. Und sie hat provoziert. Das muss vielleicht nicht jede Predigt tun, aber einschlafen möchte ich auch nicht.