Überflüssig

Pastor Udo Bagdahn ist in den Kirchenkreisen Buxtehude und Stade für die übergemeindliche evangelische Seelsorge zuständig. Am 17. August 2005 erschienen im Stader Tageblatt seine „kritischen Überlegungen“ zum Weltjugendtag. Auszüge:

Mehr als hundert Tage im Papstamt, gab er keine Signale eines global erwarteten „Aggiornamento“. „Aggiornamento“ heißt: Wahrnehmung der Lebenswirklichkeit von Millionen von Menschen – mit entsprechenden Konsequenzen. „Aggiornamento“ heißt nicht: Opportunistische Anpassung an den Zeitgeist.

Kritik von Johannes-Paul [sic!] II. an der östlichen Diktatur – okay. Kritik von Johannes-Paul II. am Kapitalismus – okay. Kritik von Johannes-Paul II. am Irak-Krieg – okay. Kritik von Johannes-Paul II. an der Armut in der Welt – okay. Begegnung mit Menschen jüdischen und islamischen Glaubens – okay.

Aber: Lebensferne in Sachen Abtreibung und Homosexualität. Er müsste es aus den Reihen seiner Beschäftigten besser wissen. Da geht das Leben eigene Wege – an der Kirche vorbei. […]

Ich nehme die römisch-katholische Kirche als eine dirigistische Organisation wahr, als eine Organisation von oben. Sie schreibt ihren Mitgliedern vor, wie sie zu glauben, zu denken und zu leben haben. Was sagte einst Johannes-Paul II.? – „Nicht das Leben bestimmt die Dogmatik, sondern die Dogmatik bestimmt das Leben.“ Wunderbar weltfremd.

Von Benedikt XVI. wird erwartet, dass er sich zu Fragen äußert, die Menschen wirklich interessieren – und bereits leben. Die Gewerkschaft der Polizei wollte in Köln auf dem Weltjugendtag Kondome verteilen. – Sollte so nicht sein… Eine junge Katholikin lächelte so nett in eine Fernsehkamera und erklärte: „Es dürfen ja auf dem Weltjugendtag keine Kondome verteilt werden. Nun, es wird andere Möglichkeiten geben, sich entsprechend zu verhalten.“

Aus ihrem Munde kein Wort der Kritik an dieser unsinnigen Praxis ihrer Kirche. Millionen Menschen hungern und verhungern in den armen Ländern, aber Kondome sind verboten. Kondome können auch vor Aids schützen – katholischerseits nicht gewollt. […]

Das Kondom ist nur ein Symbol für die Realitätsferne dieser Kirche. Die Menschen warten in Köln auf Zeichen der Ökumene. Also: gemeinsames Abendmahl aller Christen. Problemlose Wiederverheiratung Geschiedener. Verheiratung homosexueller Paare. Zulassung von Frauen zum Priesteramt.

Warum nicht auch einmal eine Päpstin? Die Heilige Schrift hat nichts dagegen. Sollte Benedetto aus Deutschland sich nicht in diese Richtung bewegen, sollte sich die Weltjugend überlegen, ob sie einem solchen Wahrheitsverkünder folgen sollte. Wer wenige Probleme löst, nicht erlöst, gar artifizielle Probleme schafft, die er selbst im Alltag nicht zu lösen vermag, ist eigentlich überflüssig. […]

Ich wünsche meinen katholischen Freundinnen und Freunden in Köln viel Spaß – hoffentlich mit Kondom.

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Norm

„Zu einem erfüllten Leben gehören normalerweise Kinder.“

Mit diesem Satz hat sich Paul Kirchhof nicht unbedingt neue Freunde gemacht. Mit der ganzen Debatte und deren Protagonisten (wie Frank „Methusalem“ Schirrmacher) befasst sich heute Gerhard Matzig in der SZ:

Die Kritiker Kirchhofs haben in einem Punkt Recht: Der Mann spricht von einer Normalität, die weder normal noch Norm ist: Kinder sind in Deutschland eine Anomalie. Resignativ heißt es dazu im Kinder- und Jugendbericht: Das Konstrukt Familie stellt für junge Menschen „keine attraktive Lebensform dar“.

Die Folgen dieser gesellschaftlichen Optionalisierung sind dramatisch. Nicht aber, weil sie uns in die Vergangenheit des 18. Jahrhunderts führen könnten, sondern im Gegenteil: Weil sie uns die Zukunft verbauen. Das erklärt die Hysterie der Debatte, für die in der Schweizer Weltwoche in Anspielung auf den „Rinderwahnsinn“ der denkwürdige Titel „Kinderwahnsinn“ ersonnen wurde, aber nur zum Teil.

Der Krieg, den wir wahlweise gegen die Kinder- und Eltern-Feindlichkeit oder gegen den Kinderwahn und die entsprechende Nichteltern-Feindlichkeit führen, speist sich aus einer explosiven Mixtur von Rationalität und Emotionalität, von öffentlich wirksamen Volkswirtschafts-Kennziffern und privaten Lebensentwürfen. Dazu kommen im „Konstrukt“ Familie, das eher ein Bedeutungsknäuel am Schnittpunkt gesellschaftlicher und individueller Sehnsuchtsvorstellungen ist, Mythos, Glaube und Kulturgeschichte. Die traditionslose Moderne, welche die taz so tapfer gegen Kirchhof verteidigen möchte, ist nirgendwo in Sicht. [Perlentaucher]

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Erfolgreiches Nichts

Der Philosoph Luca di Blasi in der Zeit über das Phänomen des „erfolgreichen Nichts“, der blassen, sinnentleerten Gegenwartskunst:

„Wie Marienerscheinungen nur in banalen und peripheren Orten glaubwürdig erscheinen, nicht aber sagen wir im Petersdom oder im Bundeskanzleramt, so scheint die arte poverissima umgekehrt jedes gewöhnliche oder mittelmäßige Umfeld zu meiden und ausgerechnet im frostigen Klima kritischer und zerstörerischer Connaisseurblicke zu gedeihen.“ [Perlentaucher]

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Moderne Zeiten

Welche Partei ist eigentlich moderner? Ich glaube, einen Zacken moderner ist die CDU. Eine evangelische, geschiedene, wiederverheiratete Frau aus dem Osten stürmt unter großem Jubel auf die Bühne – zur Musik einer Band, deren schwuler Sänger an Aids gestorben ist! Ja, das hätt‘ man sich doch nicht träumen lassen…

Harald Schmidt, 31. August 2005

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