Als er zu Simon Petrus kam, sagte dieser zu ihm: Du, Herr, willst mir die Füße waschen?
Jesus antwortete ihm: Was ich tue, verstehst du jetzt noch nicht; doch später wirst du es begreifen.
Petrus entgegnete ihm: Niemals sollst du mir die Füße waschen! Jesus erwiderte ihm: Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Anteil an mir.
Joh 13, 6-8
März 2005
Wir rühmen uns des Kreuzes unseres Herrn Jesus...
Wir rühmen uns des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus.
In ihm ist uns Heil geworden und Auferstehung und Leben.
Durch ihn sind wir erlöst und befreit.
Eröffnungsvers der Messe vom letzten Abendmahl (Schott)
Dogmatischer Relativismus
Thomas Assheuer blickt im heutigen Leitartikel der Zeit mit einer gewissen Verachtung auf zeitgenösssische „Wohlfühl-Mystiker“, die sich „im esoterischen Dunst zwischen Sakrileg und Harry Potter“ angesiedelt haben:
Fassungslos stehen sie vor dem Gebäude aus Glaubenssätzen und Lehrmeinungen. Über nichts empört sich ihr dogmatischer Relativismus mehr als über Dogmen.
Die gibt es auch und gerade innerhalb der Kirche, möchte man hinzufügen.
In der Tat handelt es sich bei katholischen Glaubenssätzen nicht um ein locker geknüpftes Gewebe aus Meinungen und Befunden. Sie sind nicht nach den Moden der geistigen Saison gestrickt, sonst wären sie längst von der Weltbühne verschwunden. Weil sie einer inneren Logik folgen, kann man sich nicht nach Belieben das Passende aussuchen, und für Gläubige ist das häufiger Grund für Gewissensnot oder Heuchelei. Sie können den Papst nicht für seinen Kampf gegen die Abtreibung rühmen – und gleichzeitig verschweigen, dass er den Kapitalismus anprangert, in Lateinamerika eine radikale Landreform fordert und gegen Menschenzüchtung, Euthanasie und Todesstrafe die Stimme erhebt.
Die Gründungswahrheit, auf der die Haltung des Papstes beruht und die noch seine Ablehnung des Irak-Kriegs durchzog, ist über zweitausend Jahre alt und hat jüdische Wurzeln. Es ist der Glaube an die Heiligkeit der Schöpfung. Das Leben der Person steht über aller Politik – und selbst über der Religion.
Ansonsten bleibt Assheuer über weite Strecken in gängigen, wohlfeilen Topoi der zeitgenössischen Kirchenkritik stecken. Das Stück wirkt etwas gestückelt, wie eine Art überdimensionierter Teaser für die weiteren Artikel mit religiösem Bezug (wie das vorzügliche Interview mit René Girard) in dieser vorösterlichen Ausgabe der Wochenzeitung.
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Monotheistische Religion als Sündenbock
Man könnte meinen, der Religionsphilosoph René Girard habe mykath.de gelesen… Jedenfalls widerlegt er (im Interview mit der Zeit) gleich eine ganze Reihe dort verwendeter Standardargumente gegen Religion im Allgemeinen und das Christentum im Besonderen. So grenzt er zunächst das Christentum gegen archaische Religionen ab:
Nach Christus können wir unschuldige Opfer nicht mehr töten wie zu Zeiten der archaischen Religion, jedenfalls einige von uns können das nicht. Ich würde sogar sagen: Der gesamte Geist unserer religiösen Kultur opponiert gegen das gewaltsame Opfer und eine vermeintlich heilige Gewalt. Wir suchen uns zwar immer noch Sündenböcke, aber wir missbilligen diese Praxis zutiefst. Dagegen beruhen archaische Religionen fundamental auf dem System des Sündenbocks – der Opferung Unschuldiger.
Islamische und andere Fundamentalisten interpretieren hingegen Girard zufolge ihre Religion (ob das richtig oder falsch ist, sei dahingestellt) als archaische Opferreligion und fallen damit hinter die Standards zurück, die das Christentum gesetzt hatte und die auch schon im alttestamentarischen Monotheismus angelegt waren. Girad:
Die biblische Tradition zeigt immer wieder Menschen, die denken, sie seien tugendhaft, aber in Wahrheit töten sie Unschuldige. Die Bibel, und diese Stellen empfinden wir ja immer noch als großartig, hat von Anfang an das Blutopfer sabotiert.
Die Bibel delegitimiert Gewalt – und das gilt gerade für von Christen und der Kirche ausgeübte Gewalt.
Die Gewalt, die wir ausüben, ist unsere Gewalt. Und von nichts anderem spricht das Christentum. Es entlastet uns nicht. Es spricht über die Ursünde der Gewalt und unsere gegenwärtigen Sünden. Natürlich scheitern wir immer wieder an der Gewalt, aber deshalb brauchen wir das Christentum ja. Das Christentum ist ein unvermeidliches Wagnis und ersetzt den Sündenbock der archaischen Religion. Es ist ein Ersatz des Ersatzes. […] Wenn das Christentum über eschatologische Dinge spricht, dann spricht es nicht über die Zerstörung der Welt durch Gott. Es spricht über die Zerstörung der Welt durch die Menschen selbst. Die Fundamentalisten haben für diesen gravierenden Unterschied keinen Sinn. Hinter ihren religiösen Begriffen denken sie immer noch in archaischen Kategorien.
Trotzdem wird der Monotheismus gern für die moderne Gewalt verantwortlich gemacht, während das Heidentum angeblich tolerant und friedfertig (gewesen) sein soll. Girard dazu:
Das Lob des Heidentums zeigt eigentlich nur, dass sich die Menschen dem Evangelium nicht aussetzen wollen oder ihm nicht gewachsen sind. Denn in gewisser Weise ist das Christentum eine extrem komplexe Religion. Auf den ersten Blick scheint es sich gar nicht so sehr von dem zu unterscheiden, was vorher war. Das Christentum kann als Opferreligion gelesen werden, und das war im Mittelalter durchaus der Fall. Inzwischen lesen wir das Christentum aber anders. Wir verstehen immer besser, dass es vor allem eines fordert – nämlich Frieden. […] Derjenige, der uns die eigene Gewalt vor Augen führt und enthüllt, sitzt plötzlich auf der Anklagebank. Unsere eigene Gewalt wehrt sich heftig gegen eine Religion, die es uns verbietet, Gewalt einzusetzen. Deshalb ist das Christentum der perfekte Sündenbock, und es hat sich ja selbst so bezeichnet. Auch Jesus war ein freiwilliger Sündenbock. Er hat uns eine Religion hinterlassen, die den Gewalt- und Opfermechanismus in unserem Zusammenleben bloßgelegt hat. Deshalb provoziert er die Menschen, die christliche Religion auf alle mögliche Art und Weise zu leugnen und zu Grabe zu tragen. Doch damit ruft man den Gott der Gewalt ein zweites Mal an, und das wäre dann wirklich der Weg in ein neues Heidentum. Aber vielleicht liegt darin auch eine tiefe Ironie. Denn wenn sich alle Welt gegen die Religion verbündet, dann wird die Menschheit vielleicht friedlich. Das wäre sozusagen der Gipfel der Humanität. Wir erfüllen die Botschaft des Christentums, indem wir es nach Kräften verleugnen.
Insbesondere unter europäischen Intellektuellen gehört die Kritik des Monotheismus heute offenbar zum guten Ton – auch gegen die Faktenlage.
Mir scheint, wir sind heute dabei, alle Übel dieser Welt den biblischen Religionen aufzubürden, und das tun wir ziemlich gut. Anstatt das Faktum anzuerkennen, dass Religion in erster Linie von der menschlichen Gewalt handelt, machen wir sie zum Sündenbock. So entlasten wir uns selbst. Wir vermeiden damit, der Wahrheit ins Auge blicken zu müssen – nämlich unserem eigenen Verhältnis zur Gewalt. Wenn das Christentum an allem schuld ist, dann müssen wir uns unsere heimliche Komplizenschaft mit der Gewalt nicht mehr eingestehen.
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Noch mehr Blogs
Ich gebe es zu: Englischsprachige katholische Blogs (und deren Verwandte) lese ich seltener. Und in der rechten Seitenspalte ist dafür auch kein Platz mehr – auch wenn ich gerade etwas Platz geschaffen und tote Blogs gelöscht habe. Aber hier gibt es Platz genug. Also bitte:
Diese Liste ist dynamisch. Mein Favorit ist übrigens (noch?) nicht katholisch: Pontifications.
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Worüber ich in letzter Zeit schreiben wollte
Und woraus dann doch (noch?) nichts wurde.
- Populäre Irrtümer: Die Kirche als moralische Anstalt
- Die Katholizität der 68er
- Kann eine Ethik anders als top-down konstruiert werden?
- Die theologische Bindestrich-Macke
- Religion als Form der intelligenten Selbstbeschränkung
Naturalismus vs. Supranaturalismus
…ist zunächst einmal eines: eine falsche Gegenüberstellung. Da ahnt man nichts Böses, und prompt belehrt schon ein Blick in die Wikipedia, dass
- gleich eine ganze Reihe von Varianten des Naturalismus existieren, die zum Teil nur wenig gemeinsam haben, und
- es auch den einen Supranaturalismus gar nicht gibt.
Man macht es sich also erheblich zu einfach, wenn man dem falschen Gegensatzpaar Naturalismus/Supranaturalismus ganz platt Atheismus/Religion zuordnet. (So zum Beispiel Volker Dittmar.) Jetzt wäre nur noch herauszufinden, welcher Spielart des Naturalismus die sog. Brights zuzuordnen sind.
Den Frieden mit Gewalt verhindern
Allen neuen und neuesten Medien zum Trotz ist das Radio (bei dem ich übrigens 1992 meine ersten beruflichen Schritte tat) nach wie vor ein faszinierendes Medium. Jüngstes Beispiel: Das heutige Feature im Deutschlandfunk. Stilistisch eigentlich völlig konventionell und trotzdem (oder gerade deswegen?) von höchster Eindringlichkeit. Friedrich Schütze-Quest, der Autor, berichtete über weite Strecken schlicht und lakonisch vom Alltag in Israel zwischen Intifada, Terror, Besatzung und einer ultra-orthodoxen Minderheit der Siedler. Den Frieden mit Gewalt verhindern… Vielleicht wird das Feature ja mal wiederholt.
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Der Mensch in Pracht, doch ohne Einsicht,
er gleicht dem Vieh, das verstummt.
Psalm 49,21
Reform ist ein theologischer Begriff
Diese Erkenntnis verschaffte mir am vergangenen Donnerstag, dem Tag des „Reform-Gipfels„, der Deutschlandfunk. Der Begriff Reform leitet sich ab aus lat. reformatio (Erneuerung) und bedeutete inhaltlich praktisch das Gegenteil dessen, was er heute sagen soll: nämlich Wiederherstellung (vgl. auch Reformation).