in Liturgia

Kleine Zwischenbilanz

Liturgische Wochen im Notizbuch. Bevor ich in der zweiten Runde weiter ins Detail gehe, zunächst ein paar Zwischenergebnisse und Thesen.

  1. Die Liturgiekonstitution stand nicht am Anfang der Liturgiereform des 20. Jahrhunderts, sondern inmitten eines schon geraume Zeit vorher begonnenen Prozesses. Sie diente als höchstinstanzliche Legitimation für eine Reform, die sie weder intendiert noch initiiert hatte.
  2. Trotzdem könnte sie heute als Leitbild und Regelwerk für die Erneuerung der römischen Liturgie dienen. Dazu müsste eine Hermeneutik der Reform an die Stelle jener Hermeneutik der Diskontinuität und des Bruches treten, mit der „Sacrosanctum Concilium“ und mit ihr alle anderen Konzilstexte häufig gelesen werden.
  3. Die Vollendung der Reform erfordert drei Schritte: Die heutige liturgische Praxis sollte korrigiert, das Missale von 1962 wieder uneingeschränkt zugelassen und schließlich das Messbuch von 2000/2002 und alle anderen nachkonziliaren liturgischen Bücher einer weiteren Revision unterzogen werden.
  4. Während der erste der drei Schritte vermutlich keiner weiteren Begründung bedarf, ist vor allem der zweite umstritten. Der Rückgriff auf den Stand von 1962 ist für einen sauberen Neustart notwendig. Mit der Wiederzulassung beginnt eine vermutlich längere Phase, mindestens von der Dauer einer Generation, in der die beiden Messbücher im Wettbewerb miteinander stehen. Der altehrwürdige römische Ritus bleibt dadurch späteren Generationen lebendig erhalten, aber auch das Messbuch von 1969/1970 und seine Nachfolger behalten ihren Platz.
  5. Die Vollendung der Reform ist ein langfristiges Projekt. Sie wird rein praktisch vor allem aus Revisionen sowohl des Missale von 1962 als auch des nachkonziliaren Messbuches bestehen. Während das Missale von 1962 nur aktualisiert werden muss (dies betrifft vor allem den liturgischen Kalender), bedarf das neue Messbuch einer umfassenden Rekonstruktion – die wohl am besten mit dem Stand von 1962 beginnt.

In diesem Sinne ist die Wiederzulassung des Missale von 1962 tatsächlich ein Druck auf den liturgischen Reset-Knopf. Alles auf Anfang, „Sacrosanctum Concilium“ neu lesen und an die Erneuerungsarbeit!

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Kommentar

15 Kommentare

  1. herzlichen Dank für diese kompakte Zwischenbilanz;ohne sie würde sich die ganze Diskussion hier im Niemandsaland verlieren.
    Soviel ich sehe, kann ich dem, was Du hier schreibst weitgehend zustimmen, wobei mir der Vergleich mit Wettbewerb und Marktwirtschaft nicht sonderlich behagt; aber das ist wohl in erster Linie eine Frage persönlicher Empfindung und erst in zweiter Linie eine Frage, inwieweit es zuläsig ist, die Kirche und ihre Lebensvollzüge, die ja- bei aller Menschlichkeit ihrer irdischen Verfassung- zum Mysterium Fidei schlechthin gehören mit derartigen Kategorien (siehe LePenseur „Großbetrieb, Vorsitzender usw…)zu vergleichen….

  2. Dein Unbehagen angesichts der ökonomischen Terminologie kann ich verstehen. Es kommt wie bei jedem Vergleich darauf an, auf welchen Aspekt er abzielt. Hier geht es mir darum, dass beiden Messbüchern die gleiche Freiheit und das gleiche Recht zukommen sollten.

    Denn wenn jene Beispiele von blühenden und jungen Gemeinden, die nach dem Messbuch von 1962 die Messe feiern, nicht erfunden sind, dann wäre es geradezu fahrlässig, hier dem Wirken des Heiligen Geistes weiterhin Schranken entgegenzusetzen.

    Und umgekehrt gilt das Gleiche: Wenn die neue Messe im Vergleich zur alten so attraktiv ist, wozu dann die Furcht vor einer Wiederzulassung des Missale von 1962?

  3. Dem Dank schließe ich mich an. Ich lese gespannt mit.

    Was ist mit dem Meßbuch von 1965?

    Dieser Reformschritt kommt mir bei der Betrachtung der Liturgiereform immer zu kurz.
    Es wird, als sei es peinlich, nur zu gern verschwiegen.
    In der Vorschau kündigst Du es an. Ich bin gespannt.

  4. Du meinst, ich sollte den Artikel vorziehen? Eigentlich wollte ich chronologisch vorgehen.

  5. Ruhig chronologisch.
    Ich wollte diesen Gedanken hier nur schon einmal loswerden.
    Als Duftmarke sozusagen.

  6. Du Martin, ehrlich gesagt finde ich die Wiederzulassung des Missale 1962 für viel leichter umsetzbar (und auch besser) als irgendein weiteres Herumpampern mit dem Novus Ordo. Der soll so gefeiert werden, wie’s in der jetzigen Instruktion zum Römischen Messbuch steht – AUS. Kein Umübersetzen und wieder Umübersetzen, keine Änderungen im Messablauf. Ganz einfach nur die Durchsetzung von dem, was schon da ist. Als Ergänzung ist dann das Feiern nach dem Messbuch von 1962 ganz gut.

    Cicero, das Messbuch von 1965 gibt’s in der Form eigentlich gar nicht, sondern es ist bloß 1962 mit einigen bereits früher eingeführten Änderungen, die 1962 noch nicht aufgenommen waren. Ich würde sagen, es ist weder Fisch noch Fleisch, da es nicht „authentisch historisch“ ist wie 1962, aber auch nicht völlig neu wie das Missale von 1970. (Ich kenne übrigens nur eine Kirche, die Prandtauerkirche in St. Pölten/Niederösterreich, wo überhaupt nach dem Missale von 1965 gefeiert wird.)

  7. Klar, Petra. Ich sehe das auch eher als Langfristprojekt. Oder über Bande gespielt. Die Wiederzulassung des Missale von 1962 verändert die Lage von Grund auf. Deshalb wird sie auch so vehement bekämpft.

    Zum einen kommt die heutige liturgische Praxis unter Druck – sie muss sich dann gegen die alte Messe behaupten, und weitere liturgische Spielchen sind der schnellste Weg ins Aus, denn diese Gemeinden werden einfach verschwinden.

    Zum anderen wird damit die Zeit gewonnen, die es braucht, bis die Generation V2 ausgestorben ist, die elderly French bishops im Ruhestand sind und die Generation JP2 herangewachsen ist. Dann sehen wir weiter.

  8. ….dann sehen wir weiter. Denk ich auch.
    Nur, ob die Entwicklung so verläuft, wie Du sie hier gerade skizziert hast, da bin ich skeptisch. (wiederhole mich damit zum 50. Mal-Jubiläum;-))

  9. Ich bin ganz und gar nicht einverstanden mit deinen Thesen. Schon die Wortwahl ist negativ: „Vollendung der Reform“: im Grunde meinst Du, dass die Reform korrigiert werden muss hin zur alten Messe. Da bin ich dagegen.
    Und was heißt „altehrwürdiger“ römischer Ritus? Ist er nur würdig zu ehren, weil es alt ist. Das reicht mir nicht.

    Im Blick auf die Liturgiegeschichte ist die „neue Messe“ eine Annäherung an die ursprüngliche römische Liturgie. Im alten Missale wird Messe als Mysterienspiel angesehen, was sich erst im 16. Jhdt herausentwickelte. Es ist ein Klerikergottesdienst unter Ausschluss der Gemeinde von der liturgische Mitwirkung.

    Wie war denn die Messe vor dem II. Vat. Die Regel war doch nicht das feierliche Hochamt mit verteilten Rollen: Priester, Chor, Lektor, Ministranten.
    In einer normalen Messe am Sonntag und Werktag übernahm der Priester alle Funktionen in Personalunion. Der Priester „las die Messe“ vom Formular ab, teils leise, teils halblaut, damit die Ministranten antworten konnten. Die Gemeinde wohnte bei, vernahm und verstand nichts.

    Dahin willst Du zurück?? Sicher nein. Du hast wahrscheinlich das feierliche Hochamt im Sinn, aber das war die Ausnahme und nicht Alltag.

    Ästhetisch mag so eine altehrwürdige Messe schön sein – aber aus theologischen und pastoralen Gründen lehne ich sie ab. Ein Bi-Ritualismus wäre ein großer Schaden – ein bisschen BI schadet sehr. Freilich sollte die schöne neue Messe noch einmal sprachlich überarbeitet werden und die Priester zur Ordnung gerufen werden, um Wildwuchs zu vermeiden.

  10. Alfred, wir müssen UNDBEDINGT mal einen heben gehen! Vllt. merken wir, daß wir über ein paar Ecken miteinander verwandt sind!

    Ernsthaft, stimm in fast allem zu; inzwischen betrachte ich den Biritualismus etwas friedlicher, aber was Du zum Thema NR gesagt hast: Jupp, so is es.

    @Petra: Auch hier, was „herumpampern im NR“ betrifft, vollste Zustimmung.

    und @mr94: Ich finde den Gedanken von Dir irgendiwe seltsam, sozusagen die Riten gegeneinander antreten zu lassen. Klingt wie Full Time Killer, nur sinds diesmal keine zwei Profikiller, die gegeneinander antreten, sondern zwei Riten. Und das Mauerblümchen, das zur superschnalle wird, ist auch hier das volk gottes, daß auf einmal sich für Liturgie interessiert.
    Ich finde, das würdigt die Liturgie – egal welchen Ritus – so derbe zu was menschlichen herab, schlimmer gehts kaum. Man kann den alten Ritus wieder uneingeschränkt zulassen, damit dadurch die Einheit in der Vielfalt der Kirche zum Ausdruck kommt, hab ich nichts dagegen! Ist sicherlich eine schöne Sache (nur bin ich dann auch für ein allg. Indult für den ambrosianischen Ritus etc.), und vielleicht werden dann auch einige der Liturgierumpfuscher sich animiert sehen, lieber an der schon bestehenden Liturgischen Vielfalt zu wählen.

    Und damit schein ich auch mal wieder was über Liturgie auf meinem Blog schreiben zu müssen… eieiei…

  11. Also, das Biritualismus-Argument wendet sich gegen sich selbst. Wenn es nämlich zwei Riten sind (und nicht zwei Formen desselben Ritus), dann müsste das Messbuch von 1969/1970 sofort eingestampft werden.

  12. Worte, mein lieber martin, sind doch nur Schall und Rauch 😉

    Wenn ich von Biritualismus rede, dann rede ich von den zwei Formen des Römischen Ritus, sry.

  13. Außerdem – wieso müßte das Meßbuch dann sofort eingestampft werden? Haben sich in der Kirche nie Riten entwickelt? Also… Oh, ja. sie wurden nie „gemacht“, sondern haben sich entwickelt.

    Diese Art der Argumentation erinnert an Diskussionen über sola scriptura…

Webmentions

  • Commentarium Catholicum » Die Liturgiereform des XX. Jahrhunderts 1. Dezember 2006

    […] Kleine Zwischenbilanz […]