Morgen jährt sich zum ersten Mal das Motu proprio Summorum Pontificum. Diesen Beitrag habe ich Anfang 2007 verfasst, als darüber erst spekuliert wurde. Ich veröffentliche ihn jetzt leicht redigiert.
Jüngst schrieb ich hier diese Zeilen:
Was die neue Messe angeht, so wird die Zukunft zeigen, ob sie sich in den langsam fließenden Strom der liturgischen Tradition einfügen wird oder nicht. Ich halte sie nicht für verwerflich (wer bin ich denn?), aber zweifle inzwischen deutlich an ihren langfristigen Überlebenschancen. Das bleibt abzuwarten.
Was begründet diese Zweifel? Zunächst einmal die Empirie.
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Jede einfache Statistik zeigt, dass der säkulare Rückgang der Messbesucherzahlen auch in Zeiten der neuen Messe ungebremst fortschritt. Binnen einer Generation sank der Anteil der Gottesdienstbesucher an den Katholiken in Deutschland von 37,2 Prozent (1969) auf 15,2 Prozent (2003). 1960 waren es 46,1 Prozent, 1950 noch 50,4 Prozent.
Die absolute Zahl der Messbesucher blieb bis 1969 praktisch unverändert. Der Anteil der Messbesucher an den Katholiken sank nur, weil die Gesamtzahl der Katholiken in Deutschland bis Anfang der siebziger Jahre noch anstieg. Erst seitdem schrumpfen die Zahl der Katholiken wie auch der Anteil der Gottesdienstbesucher und deren absolute Zahl gleichermaßen und in parallelen Trends.
Nun lässt sich zwar wohlfeil spekulieren, was wohl ohne neue Messe geschehen wäre. Aber diese Betrachtung führt nicht weiter, da keine brauchbare Vergleichsgruppe existiert. Die neue Messe hat jedenfalls den Niedergang nicht aufgehalten.
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Seit den frühen siebziger Jahren erleben wir einen demographischen Niedergang im Zeitraffer. Die Zahl der Katholiken sinkt, wie auch die deutsche Bevölkerung schrumpft, weil die Geburtenrate seit dem Pillenknick auf 1,3 bis 1,4 Kinder pro Frau gefallen ist. Die Bevölkerungszahl in Deutschland konnte bis 2002 noch durch Einwanderung stabilisiert werden. Seit 2003 hat die Schrumpfung der Gesamtbevölkerung begonnen. 2005 lag der Sterbefallüberschuss bereits bei 144.432. Durch einen Zuwanderungsüberschuss von 78.953 konnte er nur teilweise kompensiert werden.
Den katholischen Teil der Bevölkerung trifft dieser Rückgang empfindlich härter, weil unter den Zuwanderern verhältnismäßig wenig, unter den Sterbefällen hingegen relativ viele Katholiken sind. Dazu kommen noch die Kirchenaustritte: 1990 waren es 143.530, im Jahr 2004 noch 101.252.
Verschärft wird dieser Trend dadurch, dass seit den siebziger Jahren nicht mehr alle Kinder von Katholiken getauft werden. Allein von 1990 bis 2004 sank die Zahl der Taufen von 299.796 auf 200.635 pro Jahr. Noch sehr viel stärker ging die Zahl der Trauungen zurück: von 116.332 (1990) auf 49.178 (2004). Dieser Trend lässt einen weiteren Rückgang der Zahl der Geburten und damit auch der Taufen erwarten.
Der Niedergang wird noch einmal dadurch beschleunigt, dass er inzwischen in der zweiten Generation angekommen ist: Vermutlich kaum ein Enkel katholischer Großeltern, die ihre Kinder nicht taufen ließen, wird heute getauft. Die nichtgeborenen und nichtgetauften Kinder der siebziger Jahre fehlen heute als Eltern möglicher Täuflinge.
Katholische Gemeinden in Deutschland vergreisen demnach in einem schnelleren Tempo als die Gesamtbevölkerung. Diese Entwicklung hat sich in den Kirchensteuereinnahmen, die fast ausschließlich vom berufstätigen Teil der Katholiken aufgebracht werden, bereits deutlich gezeigt. Nach 2025 werden die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen und das Kirchensteueraufkommen weiter kräftig zusammenschnurren lassen.
Man verstehe mich nicht falsch: Wo die Ursachen dieser Entwicklung liegen, ist damit nicht gesagt. Keinesfalls will ich die Schuld an verhängnisvollen säkularen Trends der Bevölkerungsentwicklung der Liturgiereform in die Schuhe schieben. Mein Blick geht in die Zukunft: Die Überlebenschancen der neuen Messe (wie der Kirche in Deutschland insgesamt) werden jedenfalls dadurch stark beeinträchtigt, dass die Gemeinden, in denen sie gefeiert wird, in den kommenden Jahrzehnten rasant wegsterben.
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Und wie steht es dann um die alte Messe? Auf den ersten Blick noch viel dramatischer, ist sie doch nur in kleinen, traditionalistisch geheißenen Kreisen beheimatet. Allerdings gibt es Anzeichen dafür, wenn auch meiner Kenntnis nach aus Frankreich und den USA, dass in Gemeinden mit alter Messe die demographischen Trends eher stabil aufwärts weisen.
Wäre dem so, dann wäre das ein klarer Wettbewerbsvorteil. Beweis wie Widerlegung stehen noch aus.
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Häufig wird die Verantwortung allein auf die Priester abgewälzt. Und in der Tat stehen Priester in der Verantwortung für eine würdige Feier der heiligen Messe. Viele werden ihr nicht gerecht. Doch die Gründe für dieses auch in diesem Notizbuch häufig beklagte Versagen liegen tiefer.
Denn der Schritt vom runderneuerten Messbuch zur schwarzen Ringmappe mit selbstkomponierten Texten ist kleiner als er scheint. Schon mit den ersten Etappen der Liturgiereform des XX. Jahrhunderts hatte ein Prozess begonnen, der allmählich das Hergebrachte und Unverfügbare gegen das Kreative und Gestaltbare eintauschte.
Wie im Märchen vom Hans im Glück wurde so aus dem schweren und drückenden Goldklumpen des Missale Romanum zunächst das gallopierende Pferd der Liturgiereform, das seinen Reiter abwarf und deshalb gegen die gemächliche Kuh (Verzeihung) der neuen Messe eingetauscht wurde. Der Fortgang ist bekannt: Die Steine, die uns heute nicht selten statt des Brotes gereicht werden, landen am Schluss in der Tiefe des Brunnens. Der glückliche Hans kniet nieder und dankt Gott mit Tränen in den Augen, dass er ihm auch diese Gnade noch erwiesen und ihn von den schweren Steinen befreit hat, und springt mit leichtem Herzen und frei von aller Last fort.
Ja, die Tradition ist eine Last. Das sagt schon das Wort. Mit ihr wird etwas übergeben, überliefert, weitergereicht. Damit ist eine Veranwortung verbunden. Die Überlieferung erfordert Sorgfalt und Respekt. Sie ist ein dynamischer Vorgang. Am Reißbrett wird nicht tradiert, sondern konstruiert.
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Die neue Messe trägt die Keime der Selbstzerstörung in sich. Wenn der Papst ein Messbuch promulgieren darf, das sich geradezu dramatisch von allen vorherigen Messbüchern unterscheidet (und das darf er, daran zweifelt eigentlich niemand, der Paul VI. als legitimen Papst anerkennt), dann ist für den naiven Betrachter schwer einzusehen, warum nicht auch das neue Messbuch disponibel sein sollte.
Denn schließlich stellt es vieles, auch höchst essentielles, zur Wahl: Begrüßungswort, Schuldbekenntnis, Kyrie, de facto die Zahl, oft auch die Länge oder den Text der Lesungen, die Fürbitten, den Gesang zur Gabenbereitung, die Einladung zum Gabengebet, die Präfation und das Hochgebet, die Einladung zum Gebet des Herrn, den Friedensgruß, die Besinnung und den Dankhymnus nach der Kommunion, die Segensformel zur Entlassung und selbst das doppelte Halleluja in der Osterzeit.
Wo fast alles wählbar ist, ist kein Grund mehr zu erkennen, warum eigentlich der Rest nicht auch veränderbar, gestaltbar sein soll. Und so geschieht es. Die Beispiele sind Legion: Das Tagesgebet und die anderen Orationen lassen sich austauschen, die Lesungstexte sowieso. Eröffungsvers, Antwortpsalm, Hallellujaruf und Kommunionvers entfallen oder werden durch Lieder ersetzt. Der Embolismus stört ohnehin nur, und ein Friedenslied statt des Agnus Dei tut es doch auch. Panta rhei.
Es ist offen, ob es gelingt, die Selbstzerstörung der neuen Messe aufzuhalten und sie in den bereits zitierten langsam fließenden Strom der Tradition einzufügen. Des Hoffens und Wünschens wäre das allemal wert.
Im ersten Jahr nach Summorum Pontificum (und dieses Jahr endet erst im September) hat sich bereits eine gewisse Normalisierung eingestellt. Der vorangegangene, erbitterte Streit um ein noch nicht veröffentlichtes päpstliches Dokument ist fast vergessen. Die Gerüchteküche befasst sich stattdessen mit ersten Schritten einer lang erwarteten Reform der Reform. Keine der Befürchtungen im Hinblick auf die Wiederzulassung des Missale Romanum von 1962 scheint eingetreten, wohl aber die ersten daran geknüpften Hoffnungen.
Schön mal wieder was von Dir zu lesen, Martin.
Ich glaube nicht an die demographische Ablösung des „Neuen Ritus“ durch den „Alten Ritus“. Selbst wenn die Zahlen hier alle so stimmen bzw. sich so fortsetzen, dürfte es bei der unterschiedlichen Größenordnung der beiden Gruppen es sehr sehr sehr lange dauern bis der „Alte Ritus“ den Neuen überholt (und bis dahin sollte doch die Reform der Reform und der Heilige Geist ihre Wirkung tun). Außerdem finde ich, daß es gar nicht so zwei strikt getrennte Gruppen gibt, sondern neben den Überzeugten Neu’lern und Alt’lern eben auch eine große Mitte, die aus einerseits aus Strömungen bestehen dürften: jene, denen es vor allem um eine würdige Messe geht und den Indifferenten.
Einem Satz muß ich aber ganz widersprechen: „Ja, die Tradition ist eine Last. Das sagt schon das Wort.“ Wieso denn das? Im Wort lese ich nichts von einer Last. Und warum sollte die Tradition eine Last sein? Wenn mir etwas geschenkt wird und ich mir nicht alles selbst erfinden muß, ich aber gleichzeitig in so vielen Dinge frei bin, warum sollte das eine Last sein? Verantwortung ja, eine Last? Nein.
Was die „Keime der Selbstzerstörung“ angeht. Ich glaube nicht, daß die obrigkeitliche Einführung durch den Heiligen Stuhl eine große Rolle spielt – vielleicht führt sie theoretisch zu einem Liturgiepositivismus (Liturgie ist was Rom sagt), aber doch noch nicht zu eigenmächtigem Handeln. Dazu braucht es mehr: und da siehst Du ganz richtig die Rolle der vielen Auswahlmöglichkeiten (4 Hochgebete, Möglichkeiten Lesungstexte zu kürzen oder wegzulassen, Gebetsvarianten) – da liegt es dann nahe, selbst etwas hinzuzufügen. Aber vergessen wir auch nicht, daß dem neuen Missale eben „liturgische Experimente“ vorausgingen. Manche haben mit dem Experimentieren nie aufgehört. Und dann gibt es eben noch eine gewisse, meist gar nicht bös gemeinte, Schludrigkeit bei der Liedauswahl. Jährlich ärgere ich mich zwei mal über Tochter Zion zum Sanctus.
Wieso Ablösung? Es geht schlicht um die Frage, ob die neue Messe unter den heutigen Bedingungen überleben kann. Das demographische Argument ist nicht ganz leicht zu verstehen, aber es ist relativ stark. Siehe das oben erwähnte Beispiel Frankreich.
Viele, zu viele Gemeinden, in denen die Messe nach dem Messbuch von 1970f. gefeiert wird, haben schon heute eine extrem ungünstige Altersstruktur. Sie werden aussterben. Das ist traurig, aber vermutlich schon nicht mehr abzuwenden.
Tradition heißt Überlieferung. Es wird also etwas übergeben, das der Empfangende anschließend weitertragen muss. Etwas, das getragen werden muss, ist eine Last.
1. Meinst Du also die Kirche stirbt zum Teil aus? Der ganze „Neue Ritus“ sollte aussterben? Das glaube ich wohl kaum. Oder meinst Du, der „Alte Ritus“ gewinnt relativ gesehen an Gewicht?
(Und selbst davon wären wir noch sehr sehr weit entfernt. Außerdem wird eine Ausbreitung des „Alten Ritus“ auch die Qualität seiner Ausübung und damit die Attraktivität und damit letzlich die Reihen der Alt’ler schmälern – ob zugunsten des Neuen sei einmal dahingestellt.)
Aber selbst das würde m. E. nur eine entsprechende Reform der Reform nach sich ziehen (was ja auch in Übereinstimmung mit Sacrosantum Concilium wäre – die Vorgaben dieses Dokument wurden ja bei der damaligen Reform nicht sehr gut beachtet) und nicht eine obligatorische Wiedereinführung des „Alten Ritus“.
Allgemeines Fazit: Menschen halten sich nicht immer an Statistiken.
2. Nein, Tradition heißt Überlieferung und hat erstmal nichts mit tragen zu tun. Und was man trägt (niemand muß, es wird ja niemand gezwungen) ist nicht unbedingt eine Last. Last impliziert das es drückt und schmerzt. Ist es denn eine Last, wenn Du z. B. Lieder, die Du von Deinen Eltern gelernt hast, Deinen Kindern beibringst? Beim Glaubensschatz ist das auch nicht anders, wenn er richtig gelebt und vermittelt wird. Wenn man natürlich daraus eine Last machen will, die drückt und schmerzt, wird das auch gelingen. Das Ergebnis war dann immer Glaubensschwund.
Klar, die Kirche stirbt zum Teil aus. Schau Dir die langfristigen Trends an und befasse Dich mit Demographie, dann ist die Sache klar. Und das betrifft vor allem die Messe in der ordentlichen Form, weniger die in der außerordentlichen Form (siehe Frankreich). Die Reform der Reform ist ein anderes Thema. Und von einer obligatorischen Wiedereinführung kann auch keine Rede sein.
Das Vertrackte an der Demographie ist die Langfristigkeit. Wir können heute prognostizieren, wie viele Kinder in 25 Jahren geboren werden (sofern die Geburtenrate konstant bleibt, was sie seit den frühen 70er Jahren mit geringen Schwankungen war). Viele Gemeinden haben jetzt schon eine Alterspyramide, wie sie für die Gesamtbevölkerung erst in 25 Jahren erwartet wird.
Diese Gemeinden werden nicht überleben. Da sie selbst kaum noch Nachwuchs haben, bringen sie auch keine Priester mehr hervor. Irgendwann gehen die letzten Kirchensteuerzahler in Rente. Dann ist Ende Gelände.
Zum Verständnis des Begriffes Last genügt ein Blick in die Wikipedia:
1. Ich bestreite ja nicht die Demographie. Nur daraus Folgerungen auf Alt vs. Neu zu ziehen führt zu weit. Kinder aus dem Alten Ritus mögen zum Neuen Ritus übergehen und umgekehrt. Oder es kommt zum völligen Glaubensverlust (was ich nunmal gerade bei blindem Traditionalismus nicht ganz ausschließe.) Wenn bzw. soweit die Demographie ein Problem, ist sie es für alle und eben nicht ein „Welche Seite gewinnt“ Spiel.
2. Hier ist nicht zu erklären was eine Last ist. Das wäre die Sache vom Schwanze aufgezäumt. Die Frage ist; ist die Tradition eine Last? Das denken Küng & Co. und deswegen entledigen sie sich ihrer. Aber wer die Schönheit des Glaubens in seiner ganzen Breite kennt wird doch so nicht denken. Und deshalb störe ich mich an dem Wort „Last“.
Ich stimme zu: der Neue Ordo ist auf dem langsamen Weg des Aussterbens. Und meine Hoffnung geht darum auf den Alten. Allerdings meine ich, das der Alte die Konkursmasse des Neuen nur dann wird auffangen können, wenn er die Anregungen des II. Vaticanum aufnimmt. Konkret heißt das – um das markanteste Beispiel zu nehmen –, daß so, wie es bereits im Alten Ordo eine Missa cantata und eine Missa lecta gibt, es auch eine Missa latina und eine Missa vernacularis geben würde (eine slavische Messe ist im römischen Ritus ja schon seit alters her erlaubt).
In einem kleinen Punkt will ich noch widersprechen:
«Wenn der Papst ein Messbuch promulgieren darf, das sich geradezu dramatisch von allen vorherigen Messbüchern unterscheidet (und das darf er, daran zweifelt eigentlich niemand, der Paul VI. als legitimen Papst anerkennt) …» schreibst Du. Doch: ich zweifle daran, wenn auch mir aller Sedisvakantismus fern ist. Ich glaube, daß auch der Papst der Tradition untergeordnet ist. Für das Dogma wird das ja durchaus anerkannt – bei der Liturgie allerdings meist ignoriert. Im Mittelalter war das anders – im berühmten «Dialogus inter Cluniacensem monachum et Cisterciensem» wird Papst Zosimus zitiert mit dem Satz: «Gegen die Vorschriften der heiligen Väter kann selbst die Autorität des Heiligen Stuhles nichts bewilligen oder abändern». Ich schließe mich da dem Papst an.
Wenn der Papst nicht das Recht hätte, ein Messbuch zu promulgieren, wie konnte es dann sein, daß Pius V. ein Meßbuch promulgiert hat, daß Pius XII und Johannes XXIII Änderungen vorgenommen haben?
Nun mag man sagen, daß diese Maßnahmen keinen neuen Ritus schufen sondern nur den bestehenden kodifizierten bzw. behutsam änderten. Das stimmt – verfehlt aber die Frage, ob der Papst überhaupt das Recht dazu hat. Dieses Recht – wenn er es denn hat – kann man natürlich in richtiger oder falscher Weise ausüben und dann mag man differenzieren. Aber wenn er dieses Recht nicht hat, dann hat er es nicht und jede Maßnahme wäre falsch.
Neue liturgische Bücher hat es freilich immer gegeben. Entscheidend ist, daß das tridentinische Missale den stadtrömischen Ritus nicht wirklich veränderte, daß alle anderen Kirchen ihr bisheriges Meßbuch beibehalten durften, sofern es nicht ganz neu eingeführt, das heißt: einschließlich vorangegangener Ausgaben weniger als zweihundert Jahre alt war. Papst Pius V. hat also keinerlei überlieferten Ritus verboten noch einen Ritus neu erfunden, sondern nur Bestehendes geordnet – darin erkenne ich einen wesentlichen Unterschied.
Die erste Schreibtischgeburt, die in die Liturgie eindrang, war dann die Hymnenrevision unter Urban VIII. – eine Reform, die immer noch nicht so wie die Reformen Pius.‘ X. oder gar Pauls VI. in die Liturgie eingriff; dennoch wurde diese Reform (die etwa die Benediktiner niemals angenommen haben) dankenswerterweise ausgerechnet unter Paul VI. rückgängig gemacht.
Ich hatte diese Erklärung Deinerseits erwartet, Peregrinus.
Sie liest sich zwar wie eine formal-äußerliche Begründung, doch bestehen die Unterschiede zwischen dem Vorgehen der Päpste Pius V und Paul VI tatsächlich fast nur im inhaltlichen.
Es bestehen sicherlich Unterschiede zwischen dem Römischen Ritus vor und nach dem Meßbuch von 1970. Die Diskussion fokusiert sich meist auf die Unterschiede – und das sicher nicht zu Unrecht: sicher ist vieles nicht gut gemacht worden bei der Reform. Aber, wenn man von einer größeren Perspektive darauf schaut, sind die Unterschiede zwischen den beiden Formen (und hier geht es um die Norm, nicht um etwaige Abweichungen in der Praxis) so groß nun auch wieder nicht.
Und daher kann man sagen, Paul VI hat das Römische Meßbuch auch „nicht wirklich“ verändert. (Und so kommt auch das praktische Verbot der Tridentinischen Messe zustanden – dadurch das die Neue Messe nur als Reform des alten Meßbuchs galt – ein nominelles Verbot hat es, sie das Motu Proprio, ja nie gegeben und kann es auch nicht geben.)
Wo ich Dir fast völlig rechtgebe, ist die Uniformisierung der Messe durch die Liturgiereform: es war erst 1970 das viele Sonderriten unterdrückt wurden. Mithin eine viel stärkere Maßnahme als die von Pius V. ABER wenn Du vom „stadtrömischen Ritus“ schreibst und meinst, „daß alle anderen Kirchen ihr bisheriges Meßbuch beibehalten durften“ ist das etwas irreführend. Der sog. „stadtrömische Ritus war schon damals weit über die Stadt hinaus verbreitet und mit dem Missale von Pius V wurde er für die gesamte lateinische Kirche verbindlich. Natürlich gab es Ausnahmen, aber das waren eben nun mal Ausnahmen: eben jene über 200 Jahre alten Meßbücher. Es ist ja nunmal eine Tatsache, daß vor 1970 und von den Orden und Mailand abgesehen, der Römische Ritus überall dominierend war. Insofern ist Paul VI nur ein Stück weiter gegangen als Pius V (wenn auch sicherlich ein entscheidendes Stück zu weit).
Wie man es dreht und wendet: der Papst hat wohl das Recht liturgische Vorschriften zu machen. Er hat dabei in der Tradition zu bleiben, aber wie er es macht ist seine Entscheidung. Die kann man gut oder schlecht finden und der Papst ist nicht der Kritik und seine Entscheidungen (abseits von Definitionen ex cathedra) nicht der Revision enthoben. Das entbindet aber weder den Papst von seiner Kompetenz noch den Gläubigen vom Gehorsam.
Stadtrömisch – Deine Einschränkung stimmt; ich habe aber keinen besseren Ausdruck. Allerdings: anders als im XX. Jahrhundert, als außer der fünf bekannten Orden nur noch Lyon und Braga eigene Formen des römischen Ritus bewahrt hatten, hatten in XVIII. noch die meisten wichtigen deutschen und französischen Diözesen ihre eigenen Bücher. Und ich hoffe, daß noch zu meinen Lebzeiten die die diözesanen Formen des römischen Ritus von Münster und Köln wieder zugelassen werden (gern auch auf Deutsch).
„Stadtrömisch – Deine Einschränkung stimmt; ich habe aber keinen besseren Ausdruck.“
Wie wäre es mit „Römisch“? Jedenfalls geht es mir mehr um das oben geschilderte Problem und nicht um die Worte.
„Allerdings: anders als im XX. Jahrhundert, als außer der fünf bekannten Orden nur noch Lyon und Braga eigene Formen des römischen Ritus bewahrt hatten, hatten in XVIII. noch die meisten wichtigen deutschen und französischen Diözesen ihre eigenen Bücher.“
Und Mailand?
Ich stimme doch mit der inhaltlichen Beurteilung mit Dir überein. Unser obiger Disput ging doch nur darum, ob der Papst das darf, nicht ob er es sollte.
„Und ich hoffe, daß noch zu meinen Lebzeiten die die diözesanen Formen des römischen Ritus von Münster und Köln wieder zugelassen werden (gern auch auf Deutsch).“
Dto.
Mailand hat einen eigenen Ritus, nicht den römischen. Lyon, Braga und jene Orden dagegen haben eine besondere Form des römischen Ritus, so wie im frühen Mittelalter auch der Lateran, die päpstliche Kapelle und der Lateran je eigene Formen hatten, die aber im XI. Jahrhundert weitgehend (damals wurde der „vatikanische“ oder „altrömische“ Gesang zugunsten des gregorianischen abgeschafft) und im Spätmittelalter völlig an die Form der päpstlichen Kapelle angeglichen wurden. Darum ist es seitdem sinnvoll, von einer stadtrömischen Form des römischen Ritus zu sprechen.
Ceterum censeo …
Was mich wundert, ist, erstens, daß Du, wie es ohnehin immer gern gemacht wird, die (leider Gottes) real existierende Neue Messe mit der Idealform der Alten Messe vergleichst. Der Vergleich hinkt. Und daß leider Gottes nicht auf mahnende Schreiben aus Rom geachtet wird, kann man einem Keim des Ungehorsams zuordnen, aber nicht dem Neuen Ritus, wie man sehr gut an auch positiven Beispielen (mir fallen da ein paar Berliner Gemeinden, die Legionäre Christi und vor allem das Opus Dei ein) sehen kann.
Zweitens wundert mich, daß bei dieser Betrachtung überhaupt nicht auf das sichtbare erstarken der Neuen Geistlichen Gemeinschaften eingegangen wird. Es stimmt, daß die Gemeindebesuche seltener werden – auch wenn man hier in manchen Gegenden den Trend nicht beobachten kann. Aber gleichzeitig nehmen die Besuche von Messen in katholischen Gemeinschaften etc. ziemlich zu. Ich bin davon auch nicht ganz unbeleckt, gehe ich doch gerne mal ins Opus zur Messe.
Letztlich finde ich das auch die interessantere Frage: In einem Zeitalter, wo die neuen geistlichen Bewegungen aus dem Boden sprießen – wo ist da der Platz der Gemeinde? Die Frage habe ich mal mit unserem Erzbischof etwas diskutiert. Er fragte, wo die Rolle der Studentengemeinde, die zu seiner Zeit noch wichtig war, heutzutage im Leben des Berliner Studenten ist. Meine Antwort war die obige.
Wenn man, je nach Couleur, die Wahl hat, zu Veranstaltungen der Petrusbruderschaft, des Opus Dei, des Neokatechumenates, der Charismatischen Erneuerung etc. pp. zu gehen, wo ist dann noch der Platz für eine Gemeinde?
Für mich ist der Platz der Gemeinde, die kirchliche Realität auch zu erleben und mich nicht in meinem eigenen Ghetto zu verschanzen. Aber das ist nur meine Meinung.
Ich kann nicht erkennen, wo ich diesen hinkenden Vergleich ziehen würde. Die außerordentliche Form des römischen Ritus kommt in meinen obigen Überlegungen kaum vor. Es geht um die ordentliche Form und deren Überlebenschancen in Deutschland. Um die steht es schlecht, aus oben beschriebenen Gründen.
Für die Neuen Geistlichen Gemeinschaften würden mich in diesem Zusammenhang statistische Zahlen interessieren. Wie groß ist deren Anteil an den sonntäglichen Messbesuchern?
Was Du beschreibst, ist eine typische Großstadtsituation. Auf dem Lande und zumal in der Diaspora stellt sich die Frage so nicht. Da gibt es keine Wahl. Der Platz der Gemeinde ist ganz selbstverständlich, weil es nichts anderes gibt.