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Der Relativist

Am Sonntagmorgen spricht der Deutschlandfunk derzeit über die Wiederkehr der Religion. Heute mit Gianni Vattimo [MP3], über den die Wikipedia lapidar schreibt:

Er bezeichnet sich selbst als homosexuell und ist bekennender Katholik.

Entsprechend bekennt er sich auch zum Relativismus als unlösbarem Kennzeichen einer liberalen Gesellschaft und ist enttäuscht vom Papst, den er als Intellektuellen eigentlich schätzt. Seinen Glauben beschreibt er so:

Das neue Christentum, das ich glaube zu glauben, ist ein Christentum ohne metaphysische Gründe, ohne Objektivitäten.

Sein Gesprächspartner Jochen Rack macht es ihm sehr leicht, indem er auf Nachfragen zu seinen Thesen quasi vollständig verzichtet und sich stattdessen als Stichwortgeber hervortut: Schwangerenberatung („die Kirche ist immer noch dagegen“), Homosexualität, Frauenpriestertum. Fazit Rack:

Es gibt eine Reihe von Normen, die die Kirche nicht bereit ist, zur Disposition zu stellen.

Vattimo bekennt, dass er zur Kommunion gehe, ohne zu beichten.

Ich glaube nicht mehr an diese Administration der Sakramente.

Eine meiner Lieblingsthesen aus dem Munde Vattimos: Die Kirche behindere die aktuelle Wiederkehr der Religion, weil viele Leute zwar religiös sein, aber nichts mit dieser Kirche zu tun haben wollten. Selbstverständlich fordert Vattimo die Abschaffung des Zölibats und der Unfehlbarkeit des Papstes.

In einem der raren lichten Momente des Gespräches fragt der Journalist nach Liturgie und Sakramenten. Wenn es so sei, dass die Kirche sich reformieren und die letzten Wahrheiten abschaffen müsse, die ihre Struktur und die Sakramente begründen, wie könne sie dann noch verbindliche Praktiken ausbilden? Wie kann ein Gottesdienst aussehen, der diesen reformistischen Ansprüchen entspricht? Seine Antwort: Die Kirche solle – sola scriptura – nur das Neue Testament predigen. Die wache Gegenfrage: Kein Glaubensbekenntnis? Darauf Vattimo:

Ich kann zwar das Glaubensbekenntnis sagen, aber ich sage es wie eine allgemeine Mythologie. Ich glaube nicht, dass Jesus sitzt zur Rechten des Vaters. Ich glaube nicht, dass Gott existiert irgendwo.

An dieser Stelle, gegen Ende des Gespräches, wird klar, dass hier wieder einmal ein Kranker dem Arzt zur Therapie raten will. Nicht die Gesunden brauchen den Arzt…

In der Summe ein unglaublich dummes Gespräch. Ein schwadronierender Philosoph und ein Journalist als sein Steigbügelhalter.

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Kommentar

11 Kommentare

  1. Solche Interviews zeigen, daß die aktuelle Haltung anscheinend nicht mehr „Gott ja, Kirche nein“ ist, sondern eher „Gott nein, Kirche ja“. Die ganzen Riten, wie nach vorn zur Kommunion rennen, einer katholischen Kriche zuzugehören, das will man alles haben, aber eine lebendige Beziehung mit Gott wollen sie nicht.
    Das sind genau die, die eine Wellness-Religion aufrichten wollen.

  2. Geben FingO vollkommen Recht. Ich halte zudem Leute wie Vattimo – atheistisch, aber gleichzeitig „katholisch“ – für a) feig (wollen nicht zugeben, dass sie an nichts mehr glauben, und als Konsequenz dessen die Kirche verlassen) und/oder für b) machtgeil (wollen die Kirche übernehmen und vernichten, aus irgendwelchen Ressentiments heraus). Hasenhüttl, Drewermann und ein paar andere sind weitere gute Beispiele für diesen Typ.

    Sollte ich mal in die Verlegenheit kommen, so jemanden zu interviewen, würde ich ihn auch ganz klar darauf ansprechen: „Sie sagen, Sie glauben nicht an Gott. Warum bezeichnen Sie sich dann als Katholik? Warum sind Sie dann immer noch in der Kirche? Wäre es nicht für beide Seiten besser, wenn Sie die Kirche verließen?“

    Ich glaube aber, solche Leute haben den „Kampf gegen die Institution“ schon so verinnerlicht, dass es ihnen gar nicht einfällt, die Kirche zu verlassen – das käme ihnen wie eine Kapitulation vor. Für sie hat Kirche mit Gott nichts zu tun. (Also, wie FingO sagt: „Gott nein, Kirche ja“ – und dieses „Ja“ auch nur, um die Kirche dann zu vernichten.)

  3. Ich will ja nicht sagen, daß ichs geahnt hätte.

    Aber ich sage nur: Deutschlandfunk.

    Ich habe zwar dieses Gespräch nicht gehört, aber dafür das Vorgängergespräch in der Reihe und das krankte an genau den gleichen Problemen.

  4. Dieses „Gott nein, Kirche ja“ ist so etwas wie die Überspitzung dessen, was Ratzinger in „Gott und die Welt“ so beschreibt:

    Johann Baptist Metz hat einmal gesagt, heute gelte die Formel: Gott nein, Religion ja. Man möchte irgendwelche Religion haben, esoterisch oder wie und was auch immer. Einen persönlichen Gott aber, der redet, der mich kennt, der etwas Bestimmtes gesagt hat und mit einem bestimmten Anspruch an mich herantritt und mich auch richten wird, den will man nicht. Das Phänomen ist, daß sich die Religion von Gott ablöst. Man will zwar dieses Gefühl des ganz anderen, dieses Besondere des Religiösen, nicht ganz entbehren und in vielfältigen Formen haben. Dieses wird aber letztendlich unverbindlich, wenn nicht auch ein Wille Gottes, wenn Gott nicht da ist. Insofern befinden wir uns weniger in einer Religionskrise – Religionen wuchern regelrecht – als in einer Gotteskrise.

  5. Danke mr94, daran dachte ich, wußte nur nicht mehr, wo ich es herhatte!

    (ich glaube, das Buch kann ich mal wieder lesen, war irgendwie echt gut)

  6. In allen bisherigen Teilen der Gesprächsreihe haben Sie so komische Vögel eingeladen.
    Letzten Sonntag war es ein Philosophiedozent, der sich in den letzten Minuten des Gesprächs als ehemaliger ev. Theologiestudent entpuppte, dem während des Studiums (Bultmann natürlich) der Glauben abhanden kam und der seitdem noch die Kirchenarchitektur bewundert.
    Traurig ist das alles…
    Was allen scheinbar riesige Schwierigkeiten macht: Wunder kann es nicht geben, nie, nie, nie!!! So kommt es wohl, wenn man zu lange an einer deutschen Universität war: Was in meinem Professorenbüro nicht passiert, gibt es auch sonst nicht!

    Hoffentlich laden Sie wenigstens noch einen Gläubigen ein.

  7. Inzwischen habe ich das Gespräch auch gehört und muß sagen, daß Martin ja sehr sanft mit dieser Sendung umgegangen ist. Hier sind noch ein paar andere Probleme

    Also Vattimo bezeugt erstmal, daß er keine Ahnung von Nietzsche hat, wenn er behauptet, dieser habe den Tod Gottes proklamiert, weil dieser „nicht mehr nötig“ sei. Tatsächlich tatsächlich aber sah Nietzsche sowas wie Gott als nötig und da Gott tot sei (was Nietzsche den Menschen vorwarf), sei nun der Weg frei für den „Übermenschen“.

    Nicht nur unglaublich arrogant, sondern für einen Philosophen erschreckend ist die Bemerkung Ratzinger könne ein besserer Papst sein als Johannes Paul, weil er sei ein Theologe und nicht „ein Pfarrer aus Polen“ – hat denn Herr Vattimo keine Ahnung davon, was Karol Woityla von seiner akademischen Ausbildung her war?

    Der Interviewer setzt natürlich Relativismus und Vielfalt gleich und behauptet Benedikt hätte gegen den Relativism (mithin die Vielfalt) gepredigt … und nicht gegen dessen Diktatur. Eine schöne Demonstration derselben.

    Beide vertreten die sonderbare Meinung: „ein junges Dogma … kann man abschaffen“, und reden ohnehin penetrant von der „Befreiung der Kirche von“. Klingt nach Befreiung eines Menschen vom Leben.

    Das „Verbot der Empfängnisverhütung“ (was ja an sich noch gar nichts über Kondome in der AIDS-Bekämpfung sagt) wird sonderbarer Weise mit Khomeni’s Fatwa gegen Rushdie vergleichen, wobei natürlich letztere nicht so schlimm ist, weil sie ja nur einen Menschen betrifft und nicht „Millionen“.

    Erst gegen Ende erweist Vattimo, daß er doch seinem Gesprächspartner überlegen ist, als dieser die selten dumme Frage stellt, ob es denn auch „Toleranz gegenüber Aberglauben“ gebe. Dagegen sei doch die Aufklärung angetreten. (Ich frag mich, wer ihm erzählt hat, daß die Aufklärer tolerant waren.) Vattimo gibt eine gute Antwort: Wir müssen/dürfen/sollen Aberglauben nicht akzeptieren, aber wir müssen ihn in einer modernen Gesellschaft tolerieren.

    Allerdings fällt er dann gleich wieder zurück ins Märchenerzählen, wenn er davon spricht, die Menschen im türkisch eroberten Konstantinopel hätten „pazifisch“ gelebt.

  8. Andreas sagte:

    „In allen bisherigen Teilen der Gesprächsreihe haben Sie so komische Vögel eingeladen. … Hoffentlich laden Sie wenigstens noch einen Gläubigen ein.“

    Ich will ja nicht unken, aber ich glaub da kannst Du lange warten. So wie wir den Herrn Kriege kennen.

    Ich glaub auch, daß der Sendetermin direkt vor der Übertragung des Sonntagsgottesdienstes kein Zufall ist.

  9. Noch war zu genannter Lieblingsthese „Die Kirche behindere die aktuelle Wiederkehr der Religion, weil viele Leute zwar religiös sein, aber nichts mit dieser Kirche zu tun haben wollten.“

    Da sieht man mal wieder zwei Denkfehler:

    Erstens, wofür ist denn die Kirche da? Dafür die Wiederkehr der Religion zu fördern? Oder für die Verkündigung des Evangeliums? Wenn sie letzteres nicht täte, wäre sie überflüssig! Wenn es Leute wie oder Drewermann es nicht schaffen (oder lange nicht schafften), sich von dieser Kirche, die sie so verabscheuen, zu lösen, dann ist das doch erstmal ihr Problem und nicht irgendeine Schuld der Kirche.

    Zweitens, was soll denn das sein, „die Religion“? Ich glaube, diese Redeweise ist eines der Grundübel der heutigen Diskussion. „Die Religion“ ist für Atheisten ein Negativum, für andere grundsätzlich positiv. Um Inhalte kümmert sich aber keiner (außer wenn dann behauptet wird das irgendwas keine Religion sei, weil es ja schlecht sei, wie z.B. Scientology)

    Eine solche Einstellung verweist letzlich Religion in ein Märchenland, wo alles gleichzeitig richtig sein kann, aber letzlich unerheblich bleibt. Ein Unterschied zwischen „wahr“ und „falsch“ (worüber man dann ernsthaft diskutieren könnte) gibt’s dann natürlich nicht.

    Denn ob eine Wiederkehr der Religion überhaupt wünschenswert ist, hängt doch kapital von der Beschaffenheit derselben ab:

    Wer will denn eine Rückkehr von Menschenopfern oder der (in Indien noch existenten) Tempelprostitution?

    Man muß ja kein Jünger von Karl Barth sein (der zwischen Religionen und christlichem Glauben unterschied), aber dieses unterschiedlose Gefasel über die „Religion“ ist doch reichlich nervig.

Webmentions

  • Commentarium Catholicum » Moderne Mythen 31. August 2006

    […] Auch nett übrigens, wie Flasch den von Jochen Rack ins Feld geführten Gianni Vattimo und dessen mythologisches Credo-Verständnis abfertigt… […]