in Familia

Ansprache zur Goldenen Hochzeit

Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Wer kennt diesen Spruch nicht? Er enthält einen wahren Gedanken: Auch wenn es schrecklich sein mag, etwas zu beenden, so ist es immer noch nicht so schrecklich wie damit weiterzumachen.

Das Scheitern kann befreiend sein, auch wenn es schrecklich ist. Der einmalige Schmerz des Scheiterns ist nicht so groß wie der dauerhafte Schmerz des Weitermachens. Schwer ist nur, das Scheitern zu erkennen und sich einzugestehen, gescheitert zu sein.

Denn sich das Scheitern einzugestehen ist schmerzhaft. Wir neigen deshalb dazu, uns das Scheitern nicht einzugestehen und auch unter Schmerzen so lange weiterzumachen, bis es gar nicht mehr geht – bis der Schmerz des Weitermachens größer wird als der Schmerz des Scheiterns.

Das Scheitern hat keinen besonders guten Ruf. Wer gescheitert ist, dem ist das irgendwie unangenehm. Er spricht nicht gerne darüber. Es stellt sich sofort die Frage nach der Schuld. Was habe ich falsch gemacht? Was hätte ich besser machen müssen? Wie hätte ich das Scheitern vermeiden können?

Ich möchte heute über die positiven Seiten des Scheiterns sprechen. Scheitern setzt Energie und Zeit frei, die bis jetzt gebunden war. Es hat etwas Befreiendes, nicht länger ein totes Pferd zu reiten, sondern abzusteigen und sich nach neuen Transportmitteln umzusehen.

Scheitern ist geradezu die Voraussetzung für Veränderung. Scheitern schafft Raum für Neues. Im Scheitern kommt Gott ins Spiel. Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark, sagt Paulus im zweiten Korintherbrief (2 Kor 12,10). Erst wenn wir gescheitert sind, kann Gott rettend eingreifen.

Gottes Gnade erweist ihre Kraft in der Schwachheit (2 Kor 12,9). Unsere Schwachheit schafft Platz für die Kraft Christi (2 Kor 12,9). Durch unser Scheitern sind wir zurückgeworfen auf uns selbst und auf Gott. Scheitern macht uns frei dafür, von Neuem auf Gottes Wort zu hören und nach dem Willen Gottes zu fragen.

Wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, dann scheitern wir dauernd in unserem Leben. Im Kleinen wie im Großen. Wie oft seid Ihr in den 50 Jahren Eurer Ehe gescheitert! Wie vieles ist misslungen, lief nicht nach Plan, kam ganz anders als gewünscht und gedacht!

Und doch sitzt Ihr heute hier, habt Euer Eheversprechen erneuert und könnt heute diesen großen Tag mit uns feiern. Ihr habt es bis hierhin geschafft, weil in jedem Scheitern ein Neubeginn steckt, weil Ihr immer wieder von vorn begonnen habt.

Schon die Feier Eurer Hochzeit vor 50 Jahren war überschattet vom Tod des Brautvaters nur wenige Tage zuvor. Die Feier Eurer Silberhochzeit vor 25 Jahren musste um drei Monate verschoben werden, weil der Silberbräutigam ins Krankenhaus musste.

Vor zehn Jahren starb Eure Tochter, unsere Schwester an den Folgen ihrer Krebserkrankung. Der Tod ist das ultimative Scheitern unseres Lebens. Der Tod ist endgültig und nicht umkehrbar. Schauen wir auf das Kreuz. Jesus Christus ist am Kreuz gescheitert. Nach den Maßstäben der Welt ist er gescheitert.

Und doch glauben wir, dass er am Kreuz gesiegt hat. Er hat am Kreuz unser Scheitern besiegt. Und er hat in seiner Auferstehung den Tod besiegt. Dieses Paradox bringt Psalm 118 auf den Punkt: Der Stein, den die Bauleute verwarfen, er ist zum Eckstein geworden. (Ps 118,22)

Die Bauleute in diesem Bild, das sind handfeste Leute, Maurer. Sie würden niemals einen Stein vermauern, der nicht ganz in Ordnung ist. Solche Steine werfen sie weg. Wie kann solch ein Stein, den kein Maurer verarbeiten würde, plötzlich zum Eckstein werden?

Psalm 118 liefert die Erklärung: Das hat der Herr vollbracht, vor unseren Augen geschah dieses Wunder. (Ps 118,23) Es ist ein Wunder. Es geschah vor unseren Augen. Und es war Gott der Herr, der an Jesus Christus dieses Wunder vollbracht hat. Er verwandelt das Scheitern in einen Sieg. Der weggeworfene Stein wird zum Eckstein, und damit auch zum Stein des Anstoßes für jene, die nicht glauben (1 Petr 2,7-8).

Das ist Ostern. Das ist die Auferstehung. Das ist der Kern des Glaubens. Das ist der Schlüssel zur Deutung der Schrift. In der Lesung, die wir gerade gehört haben, hieß es: Mit ganzem Herzen vertrau auf den Herrn, bau nicht auf eigene Klugheit; such ihn zu erkennen auf all deinen Wegen, dann ebnet er selbst deine Pfade. (Spr 3,5-6)

Wenn wir auf Jesus Christus vertrauen, statt auf unsere eigene Klugheit zu bauen, wenn wir ihn zu erkennen suchen, dann macht er den Weg frei. Dann verwandelt er unser Scheitern in Gelingen. Nie sollen Liebe und Treue dich verlassen, so hieß es in der Lesung (Spr 3,3). Liebe und Treue sind nicht begrenzt, weder zeitlich noch inhaltlich.

Die Liebe der Eheleute zueinander und die Liebe der Eltern zu den Kindern ist ein Bild der Liebe Gottes zu den Menschen. Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe, hören wir im Johannesevangelium (Joh 15,12). Liebe und Treue sind dauerhaft und an keine Bedingungen geknüpft. Sie sind bedingungslos.

Wo wir schwach sind, wo wir scheitern, da kommt Gott uns zu Hilfe. Die Liebe knüpft an unserer Schwachheit an. Wo Eheleute scheitern, da gilt es mutig voranzuschreiten – nicht dem Scheitern nachtrauern, sondern es in die Hände Gottes legen und neue Wege gehen.

Bleibt in meiner Liebe! So sagt es uns das Johannesevangelium (Joh 15,9). In der Liebe bleiben, auch im Scheitern und in der Schwachheit. Lieben durch das Scheitern hindurch. Das Scheitern und die Schwachheit in Liebe ertragen, und die durch das Scheitern freigewordene Kraft und Zeit in Liebe verwandeln.

Wir müssen also unsere Schwachheit, unser Versagen und unser Scheitern annehmen, damit Gott uns zu Hilfe kommen kann. Und dann bleiben wir nicht bei unserer Schwachheit, unserem Versagen und unserem Scheitern stehen, sondern Gott schenkt uns neue Kraft.

Der Stein, den die Bauleute verwarfen, er ist zum Eckstein geworden. Das hat der Herr vollbracht, vor unseren Augen geschah dieses Wunder. Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat; wir wollen jubeln und uns an ihm freuen. (Ps 118,22-24)

Und der Friede Gottes, der alles Verstehen übersteigt, wird eure Herzen und eure Gedanken in der Gemeinschaft mit Christus Jesus bewahren. (Phil 4,7)

Amen.


Also published on Medium.

Schreibe einen Kommentar

Kommentar

Webmentions

  • Wundersames Wanderbuch – Commentarium Catholicum

    […] dass Scheitern dazugehört, aber eher als Lernprozess denn als Katastrophe zu verstehen ist. Von toten Pferden abzusteigen und neue Wege zu suchen ist selbstverständlich. Scheitern als Teil der Geschichte statt als […]