Friedrich Nietzsche war ein scharfer Kritiker des Christentums. Er hielt die christliche Ethik für ungesund, ja sogar für nihilistisch. In seinem Antichrist schreibt Nietzsche:
Nichts ist ungesunder, inmitten unsrer ungesunden Modernität, als das christliche Mitleid. […] Man verliert Kraft, wenn man mitleidet. […] Mitleiden überredet zum Nichts! … Man sagt nicht „Nichts“: man sagt dafür „Jenseits“; oder „Gott“; oder „das wahre Leben“; oder Nirvana, Erlösung, Seligkeit …“
Wenn Jesus Christus am Gründonnerstag seinen Jüngern die Füße wäscht, dann könnten wir das für ein Beispiel eben dieser christlichen Ethik halten. Der Herr und Meister gibt seinen Jüngern ein Beispiel, damit auch sie so handeln, wie er an ihnen gehandelt hat. Aber was hat Jesus hier eigentlich getan? Er tut den Dienst eines Knechtes, eines Sklaven, der den Gästen vor dem Essen die Füße wäscht, die vom Weg staubig geworden sind.
Der Herr macht sich selbst zum Knecht, zum Sklaven. Im Philipperbrief (2, 6-8) schreibt Paulus, einen Hymnus zitierend, über das Geheimnis der Menschwerdung Gottes:
Christus Jesus war Gott gleich, / hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein,
sondern er entäußerte sich / und wurde wie ein Sklave / und den Menschen gleich. / Sein Leben war das eines Menschen;
er erniedrigte sich / und war gehorsam bis zum Tod, / bis zum Tod am Kreuz.
In der Fußwaschung zeigt sich die Selbsterniedrigung Gottes in Jesus Christus. Gott selbst wird ein Nichts, ein Sklave. Er gibt sich hin, aus Liebe. Er opfert sich selbst. Petrus will das nicht hinnehmen. „Niemals sollst du mir die Füße waschen!“ Die Antwort, die Jesus ihm gibt, ist rätselhaft: „Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Anteil an mir.“ Aber offensichtlich ändert diese Antwort alles. Denn Petrus erwidert: „Herr, dann nicht nur meine Füße, sondern auch die Hände und das Haupt.“
Am Herrn Anteil zu haben ist der Wunsch des Petrus. Er will eintreten in das Geheimnis der Selbsthingabe Gottes, will es selbst mitvollziehen. Das ist Christentum. Das Christentum ist keine Ethik und keine Weltanschauung. Es ist „der Mitvollzug des Daseins Christi“ (Guardini, Der Herr, 463). Das ist es übrigens auch, was in der Liturgie geschieht: Wir treten ein in Christus. Wir vollziehen mit, was Christus getan hat und heute noch tut. Ins Hochgebet werden heute drei Worte eingefügt, die genau dies zeigen:
Am Abend, bevor er für unser Heil und das Heil aller Menschen das Leiden auf sich nahm – das ist heute -, nahm er das Brot in seine heiligen und ehrwürdigen Hände, erhob die Augen zum Himmel, zu dir, seinem Vater, dem allmächtigen Gott, sagte dir Lob und Dank, brach das Brot, reichte es seinen Jüngern und sprach: Nehmet und esset alle davon: Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird.
„Das ist heute“. Nicht: „Das war heute vor ungefähr 2.000 Jahren.“ Heute wäscht Jesus Christus seinen Jüngern die Füße. Heute reicht er uns das Brot, das kein Brot mehr ist, sondern sein Leib, der für uns hingegeben wird. Morgen. Am Kreuz.