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Realitätsabgleich für eine Ministerin

Wer kümmert sich schon um lästige Details, wenn es um hehre Ziele wie die Verdreifachung der Krippenplatzversorgung geht? Manfred Spieker, Professor für Christliche Sozialwissenschaften an der Universität Osnabrück, ist verblüfft:

Niemand scheint die Berechnungen der Familienministerin nachgeprüft zu haben. Niemand konfrontiert ihre Forderungen mit den Geburtenzahlen des Statistischen Bundesamtes einerseits und den Wünschen der betroffenen Mütter andererseits.

  1. In Deutschland werden keine 700.000 Kinder mehr pro Jahr geboren (2006: 673.000, 2005: 686.000). Preisfrage: Wie viele Kinder bis zu drei Jahren kann es dann maximal geben?
  2. Für das erste Jahr bzw. die ersten 14 Monate gibt es Elterngeld – werden auch Krippenplätze für jedes dritte Kind im ersten Lebensjahr gebraucht?
  3. Die Zahl von 500.000 neuen Krippenplätzen ist mithin höchst unplausibel. Die lästigen Details können bei Spieker nachgelesen werden.

Das von-der-Leyensche Krippenprojekt missachtet aber nicht nur die Geburtenzahlen des Statistischen Bundesamtes, sondern auch die Wünsche der Frauen. Gerade einmal 17 Prozent sind nach einer Untersuchung des Ipsos-Instituts vom März 2007 der Meinung, dass die Kinder in einer Krippe am besten aufgehoben seien, während 81 Prozent die Erziehung durch die Eltern für das Beste halten.

Wäre die Familienpolitik an echter Wahlfreiheit der Eltern interessiert und würde sie die 1000 Euro, die ein Krippenplatz durchschnittlich im Monat kostet, direkt an die Mütter auszahlen, also Subjekt- statt Objektförderung betreiben, dann würden 69 Prozent der Mütter in den ersten drei Jahren zu Hause bleiben und ihr Kind selbst erziehen.

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Kommentar

  1. „…dann würden 69 Prozent der Mütter in den ersten drei Jahren zu Hause bleiben und ihr Kind selbst erziehen“

    Aber das will weder die kapitalistische Wortschaft, noch die (mittlerweile in die Allgemeinheit durchgesickerte) feministische Ideologie. Und so wird massiver Druck ausgeübt… (Ich selber war übrigens – damals in Ungarn – übrigens auch in der Kinderkrippe. Meine Mutter erzählt, dass sie da erst recht öfters zu Hause bleiben musste, da ich durch das enge Zusammenleben mit anderen Kindern natürlich dauernd krank war…)

  2. @Petra:
    Also, bitte die Kuh im Stall zu lassen. Der „kapitalistischen Wirtschaft“ ist es nämlich piepegal, ob ein Mutter zu Hause bleibt, solange sie nicht dafür (z.B. in Form von Schutzfristen für Kündigung etc.) berappen muß. Dise „Kinderkrippen“-Sache ist eindeutig ein Auswuchs feministischer und sozialistischer Ideologie! Denn die „kapitalistische Wirtschaft“ gibt es bereits seit Jahrhunderten, ohne daß deshalb flächendeckend Kinderkrippen eingeführt worden wären. Die gibt’s erst, seit sich die Frauen durch möglichst 100%ige Erwerbsarbeit „selbstverwirklichen“ sollen …

  3. Das Prinzip der neokapitalistischen Wirtschaft ist der Wettbewerb; und der Wettbewerb um Arbeitsplätze läßt sich dadurch verschärfen, daß möglichst viele Menschen auf den Arbeitsmarkt geworfen werden, auch solche, die eigentlich etwas besseres zu tun hätten.
    Also: keineswegs nur feministische und sozialistische Ideologie.
    Außerdem glaube ich nicht an einen Wesensunterschied von Kapitalismus uns Sozialismus. Kennen Sie die Revolution in L , M. le Penseur?

  4. @Peregrinus:

    „Das Prinzip der neokapitalistischen Wirtschaft ist der Wettbewerb“
    Nicht nur einer „neokapitalistischen“ (was soll das übrigens sein?), sondern jeder Wirtschaft (vielleicht einmal abgesehen von primitiv-steinzeitlicher Subsistenzwirtschaft am Rande des Verhungerns — aber das wird doch hoffentlich nicht Ihr Ideal einer Wirtschaft sein), sogar einer Planwirtschaft sowjetischen Musters. Nur daß bei dieser der Wettbewerb dann eben mit dem Schwarzmarkt stattfindet. Aber Wettbewerb findet statt — ob man nun will oder nicht.

    „… der Wettbewerb um Arbeitsplätze läßt sich dadurch verschärfen, daß möglichst viele Menschen auf den Arbeitsmarkt geworfen werden“
    Hilfe! Ist Ihnen bewußt, was sie da schreiben? Wie inn aller Welt soll „die Wirtschaft“ Menschen auf den Arbeitsmarkt werfen? Die müssen schon selbst kommen …

    „Außerdem glaube ich nicht an einen Wesensunterschied von Kapitalismus uns Sozialismus.“
    Ich schon. Der wesentliche Unterschied ist, daß ersterer funktioniert und letzterer nicht, jedenfalls nicht auf auch nur mittlere Dauer!

    „Kennen sie die Revolution in L“
    Ich habe mir Ihre Parabel durchgelesen. Sehr schön – sie hat nur einen kleinen Fehler: sie findet keine Deckung in der Realität. Aber das hat einen echen Ideologen bekanntlich noch nie gestört …

  5. «Neokapitalistisch» nenne ich die Ideologisierung des real existierenden Kapitalismus und seine Transformierung in einen Krieg aller gegen alle durch Adam Smith und Konsorten, welche dann im XIX. Jahrhundert unmenschliche Folgen zeigte (empfehlenswert: Mike Davis: «Die Geburt der Dritten Welt») und im späten XX. Jahrhundert neu belebt wurde.
    Ansonsten gibt es Wettbewerb in jeder Wirtschaft; der Unterschied ist, ob er kontrolliert und entschärft oder aber zum Prinzip erhoben wird.
    Ideologischer Kapitalismus und Sozialismus: beide «funktionieren» in gleicher Weise: die Veranstalter profitieren, die anderen haben das Nachsehen.

  6. @Peregrinus:

    „Ansonsten gibt es Wettbewerb in jeder Wirtschaft …“
    Richtig.

    „… der Unterschied ist, ob er kontrolliert und entschärft oder aber zum Prinzip erhoben wird.“
    Falsch. durch „Kontrolle“ wird Wettbewerb einmal nicht per se „entschärft“, sondern höchstens auf andere Gebiete verlagert (sofern die Kontrolle effektiv genug ist). Wenn ich die Milchpreise „kontrolliere“, dann wird der Wettbewerb eben nicht mehr zwischen Anbietern und Nachfragern direkt geschehen, sondern es werden bei zu niedrigem Milchpreis Milchbauern zu anderen Erwerbsquellen übergehen, bzw. bei zu hohem Milchpreis die Konsumenten ihren Konsum weitgehend einschränken. Beides mag ja manchmal durchaus sinnvoll sein, aber es wäre doch schön, wenn das die Marktteilnehmer vielleicht selbst entscheiden könnten, und nicht eine „Milchmarktregulierungsbehörde“, die Quoten und PReise festsetzt.

    „Ideologischer Kapitalismus und Sozialismus: beide «funktionieren» in gleicher Weise: die Veranstalter profitieren, die anderen haben das Nachsehen.“
    Das wäre ja ein gemeinsames Merkmal aller Ideologien. Nur: der Unterschied zwischen Kapitalismus und Sozialismus ist, daß der Kapitalismus nicht „Ideologie“, sondern Realität ist, der Sozialismus hingegen nicht Realität, sondern Ideologie. Sozialismus hat zu keiner Zeit und an keinem Ort je funktioniert, Kapitalismus immer. Nicht immer optimal, aber immerhin doch hinreichend, um die Volkswirtschaft auf ausreichendem Niveau überleben zu lassen.

    Winston Churchill faßte es einmal in dem Satz zusammen: „Der Kapitalismus stellt das größte Laster dar, weil er die Güter so ungleich verteilt. Der Sozialsmus hingegen die größte Tugend, weil er das Elend so gerecht verteilt.“ Dem ist eigentlich wenig hinzuzufügen.

  7. „…Ideologisierung des real existierenden Kapitalismus und seine Transformierung in einen Krieg aller gegen alle durch Adam Smith und Konsorten…“

    Nicht, dass ich der größte Anhänger von Adam Smith wäre, aber ich bezweifle, dass diese Aussage korrekt ist. Smith, der ja auch Moralphilosoph war, ist zwar zweifellos liberal gewesen, aber nicht so liberal, wie er heute gemacht wird. Er sieht ganz klare Aufgaben für den Staat:
    „Erstens die Pflicht, das Land gegen Gewalttätigkeit und Angriff anderer unabhängiger Staaten zu schützen, zweitens die Aufgabe, jedes Mitglied der Gesellschaft so weit wie möglich vor Ungerechtigkeit oder Unterdrückung durch einen Mitbürger in Schutz zu nehmen oder ein zuverlässiges Justizwesen einzurichten, und drittens die Pflicht, bestimmte öffentliche Anstalten und Einrichtungen zu gründen und zu unterhalten, die ein Einzelner oder eine kleine Gruppe aus eigenem Interesse nicht betreiben kann, weil der Gewinn ihre Kosten niemals decken könnte, obwohl er häufig höher sein mag als die Kosten für das ganze Gemeinwesen.“ (Aus: Adam Smith, Der Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen; ich habe leider das englische Original gerade nicht zur Hand).
    Letzteres meint etwa Schulen, Krankenhäuser etc.
    Also sicherlich liberal, aber doch noch lange kein „Krieg aller gegen alle“.
    Wir sollten Smith auch seine Lebensumwelt zu gute halten: Die im 18. Jhd. existente Alternative zum Liberalismus war der Merkantilismus. Gegen diesen waren seine gelegentlichen Polemiken gerichtet. Und wer möchte heute noch den Merkantilismus?