Es war ein ziemliches Gewusel vor der St.-Cyriakus-Kirche am späten Vormittag des 23. September 2011, als sich der Pilgerzug gen Etzelsbach formierte. Bischof Norbert Trelle schritt mit der ersten von 22 Gruppen flott voran. Später sah ich ihn nicht mehr. Er war aber die ganze Zeit dabei, wie ich als zuverlässiger Quelle weiß.
Zur Orientierung mögen ein paar geografische Hinweise dienen. Wir befinden uns ziemlich im Süden des Bistums Hildesheim, das im Norden bis vor die Tore Hamburgs und weiter nach Cuxhaven reicht. Von Duderstadt nach Cuxhaven sind es 335 Straßenkilometer. Das Bistum Erfurt liegt von hier aus gesehen südlich.
Wir gehen über die Marktstraße, die Hauptstraße der Stadt und heutige Fußgängerzone, zunächst ein Stück in Richtung Westen, vorbei am historischen Rathaus, das oben links im Bild zu sehen ist. Von der Marktstraße biegen wir links in Richtung Süden ab und folgen der historischen Bundesstraße 247, die heute freilich auf einer Ringstraße um den Stadtkern herum geführt wird.
Im Pilgerzug werden einige Kreuze und Fahnen mitgeführt. Ansonsten könnten wir aber auch eine große Wandergruppe sein. Die Stimmung ist gelöst und nicht übermäßig fromm. Here comes everybody, sozusagen. Das Wetter ist phantastisch. Gegen Mittag wird es ziemlich warm, doch dann ziehen einige Wolken auf, was in der zweiten Septemberhälfte im Norden Deutschlands schnell für Abkühlung sorgt.
Scheinbar endlos zieht der Lindwurm der Pilgerschar durch die Fluren, hier zwischen Duderstadt und Gerblingerode, dem letzten Ort vor der ehemaligen Zonengrenze, der heutigen Landesgrenze zwischen Niedersachsen und Thüringen sowie der Bistumsgrenze zwischen Hildesheim und Erfurt. Just an dieser Grenze befindet sich heute ein Grenzlandmuseum, das an die Zeiten von Stacheldraht und Selbstschussanlagen erinnert. Dort halten wir die erste von drei geplanten Stationen, es wird gebetet und gesungen. Neues Geistliches Lied, das Unvermeidliche.
In Teistungen, dem ersten Ort in Thüringen, sehen wir Fahnen und Wimpel. Direkt hinter Teistungen passieren wir eine Straßensperre. Ab hier, es sind noch etwa neun Kilometer bis Etzelsbach, sind die Straßen für Autofahrer gesperrt. Spätestens jetzt verschwimmen endgültig die Grenzen zwischen unserem Hildesheimer Pilgerzug und dem allgemeinen Pilgerzustrom gen Wallfahrtskapelle.
Am Fußballplatz von Rot-Weiß Berlingerode halten wir gegen 13 Uhr Mittagsrast. Der Malteser-Hilfsdienst gibt Erbsensuppe mit Bockwurst aus. Offensichtlich haben die Pilger Dispens vom Freitagsopfer erhalten. Jedoch ist auch eine vegetarische Gemüsesuppe erhältlich. Ich entscheide mich für die Erbsensuppe inklusive Wurst. Nach dem Essen halten wir die zweite Station. Es ist inzwischen 14 Uhr geworden, um 16 Uhr soll das Pilgerfeld schließen. Bis dahin liegen noch etwa sechs Kilometer vor uns, also ist jetzt Eile geboten.
Hinter Berlingerode steigt der Pilgerweg St. Kilian langsam, aber stetig an. Zu einer Wallfahrt gehören selbstverständlich der Anstieg auf einen Berg und die damit verbundene Anstrengung. Das Eichsfeld ist eine sanft hügelige Landschaft, südlich vom Harz gelegen, einem der nördlichsten Mittelgebirge Deutschlands. Jahrhundertelang gehörte das Eichsfeld zum Erzbistum Mainz, weshalb sich die Eichsfelder zuweilen eher als Süd- denn als Norddeutsche verstehen.
Inzwischen scheint auch die Sonne wieder, und es wird heiß. Die Pilgergruppen ziehen sich weit auseinander, weil jeder sein eigenes Tempo geht. Ich treffe unseren ehemaligen Kaplan wieder, der auf dem Anstieg den Rosenkranz betet.
Die Wege sind eigens für diesen Tag ausgebaut und geschottert worden. Inzwischen haben wir mehrere Stationen der Malteser passiert, die Wasser und Schokoriegel an die Pilger ausgeben. Oben im Wald gibt es ein besonders steiles Stück. Ich passiere einige Pilger, denen der Anstieg sichtlich Mühe bereitet. Ein Mann muss von den Sanitätern versorgt werden, er liegt auf dem Boden, ist aber guter Dinge.
Am Waldrand schließlich sehen wir erstmals das Pilgerfeld, schon ganz aus der Nähe. Wir nähern uns von der Altarseite. Die dritte Station unserer Wallfahrt, die eigentlich in Kleingruppen kurz vor Etzelsbach gehalten werden sollte, fällt aus Zeitgründen aus. Wir versammeln uns vor der Sicherheitsschleuse und warten darauf, bis unsere Pilgergruppe wieder vollständig ist. Das dauert einige Zeit, und inzwischen ist es nach 16 Uhr.
Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Das Pilgerfeld wird pünktlich geschlossen. Die inneren Segmente, die später der Papst in seinem Papamobil umrunden wird, sind bereits gefüllt. Als wir endlich die Sicherheitsschleuse passiert haben, immer in Gruppen zu maximal 20 Personen, da führt kein Weg mehr zu unseren Plätzen.
Eigentlich hätten wir in einem der Bereiche, die mit dem Buchstaben F und einem Dreieck gekennzeichnet sind, Platz finden sollen. Doch dafür war es offensichtlich zu spät. Als unser Bischof davon erfährt, ist er einigermaßen empört. Wir Pilger nehmen es gelassen.
Dieses Bild, aufgenommen um kurz vor 17 Uhr, gibt unsere Sicht auf den unteren Teil des Pilgerfelds mit dem Altar und der Nebenbühne wieder. Wir befinden uns im mittleren Feld „L Quadrat“, unweit der dort eingezeichneten Dixitoiletten. Auf der LED-Wand am linken Bildrand ist Kardinal Meisner zu sehen, der gerade zu den Pilgern spricht. Aber das ist eine andere Geschichte, die im folgenden Teil erzählt werden soll.
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