Das Stundengebet in der Abtei Königsmünster wird auf Deutsch nach dem Benediktinischen Antiphonale von 1996 gehalten. Nach meinem Eindruck aus knapp vier Tagen hält sich der Konvent relativ eng an die Bücher. Insbesondere feiern die Mönche jene fünf Horen, die das Antiphonale vorgibt: Vigil, Laudes, Mittagshore, Vesper und Komplet. Und zwar jeweils als eigenständige Feiern. Nur sonntags finden Vigil und Laudes direkt hintereinander statt. Die Vigil hat dann, anders als werktags, nur eine Nokturn, heute wurde die zweite genommen. Laudes, Mittagshore und Vesper begleitet die Orgel, die Vigil wird größtenteils rezitiert und die Komplet ohne Orgel gesungen.
Der Tag beginnt mit der Vigil um 5.30 Uhr. Nach dem dreifachen Herr, öffne meine Lippen folgt ein täglich wechselnder Psalm zum Invitatorium, der gesungen wird. Danach wird die Tür zur Klausur geschlossen, die Mönche im Chor rücken zur Mitte hin auf, sodass zwischen ihnen keine freien Plätze bleiben. Genauso verfahren sie zur Mittagshore. Die übrigen Horen beginnen mit einem Einzug.
In der Vigil werden dann die Psalmen der beiden Nokturnen rezitiert, den jeweils längeren mittleren Psalm liest der Tischleser vor. Der Versikel entfällt, auf den Segensspruch folgt eine Lesung. In diesen Tagen wurden Dietrich Bonhoeffer und Karl Rahner gelesen. Als Responsorium sieht das Antiphonale jeweils einen Abschnitt aus Psalm 119 vor, responsorial vorgetragen. Danach folgt die zweite Nokturn. Ohne Lesung und Responsorium. Den Abschluss der Vigil, wie ihn die Mescheder Mönche singen, konnte ich im Buch bis jetzt nicht finden: Hymnus, Te Decet Laus oder noch etwas anderes? Die Vigil endet mit der Oration, ohne Segensspruch.
Interessanterweise hält das Antiphonale sonntags im Gegensatz zu den übrigen Tagen einen Hymnus gleich nach dem Invitatorium bereit. Die dritte Nokturn am Sonntag besteht aus einem Canticum. Weder Hymnus noch Canticum wurden jedoch gesungen. Sonntags beginnt die Vigil in Königsmünster erst um 6.15 Uhr, die Laudes schließen sich direkt an. An den übrigen Tagen ist zwischen Vigil und Laudes, die um 6.45 Uhr beginnen, eine stille Zeit. Zu den Laudes werden vier Psalmen gesungen. Auf die Kurzlesung folgt eine lange Pause, bevor die Mönche das Responsorium und den Hymnus singen.
Übrigens lassen sie einige, in eckigen Klammern angegebene Psalmverse weg. Das Vorwort zum Antiphonale schreibt dazu:
Auch sogenannte „schwer vollziehbare“ Stellen sind nicht eliminiert (wie in der Liturgia Horarum), sondern lediglich durch eckige Klammern gekennzeichnet, für jene, die den „Mut zur ganzen Schrift“ nicht aufbringen können und sie übergehen wollen.
Als Cantica in den Laudes wie auch in der Vesper sieht das Antiphonale nicht etwa täglich Benedictus und Magnificat (und Nunc Dimittis in der Komplet) vor. Das Benedictus wird am Sonnabend gesungen, das Magnificat in der Ersten Vesper vom Sonntag. Das schon erwähnte, wortreiche und streckenweise leicht apologetisch gehaltene Vorwort merkt dazu an:
Obwohl die „klassischen“ Cantica de Evangelio durch ihren bevorzugten Einsatz an Festtagen auch im vorliegenden Antiphonale ihren traditionellen Rang erkennen lassen, sind sie hier nicht täglich vorgesehen. Dieser gewiß hohe Preis ist unseres Erachtens zu zahlen, wenn die anderen Cantica aus dem Neuen Testament – deren Aufnahme ins Stundengebet vielen als die bedeutendste Frucht seiner Reform gilt! – an einem ihrer Herkunft und ihrer Aussage angemessenen Platz innerhalb der Hore gesungen werden sollen. Sie werden hier also nicht der Psalmodie angehängt (oder gar ganz eliminiert), sondern es ist ihnen der prominente Platz eingeräumt, den vor der Reform einzig Magnificat und Benedictus innehatten. (Bei einer Umfrage in sechs Klöstern votierten für diese Praxis – nach mehreren Jahren der lebendigen Erfahrung mit ihr – von 307 Konventualen nicht weniger als 253!)
Wer wie ich die Liturgia Horarum betet, für den ist das zuerst verblüffend und dann ungewohnt, aber auch nicht ohne Reiz. So wird in den Laudes am Sonntag der Johannesprolog gesungen, einer der faszinierendsten Texte der Bibel. Das Nunc Dimittis, nach römischen Brauch das Canticum der Komplet, beschließt die Vesper am Mittwoch.
Die Mittagshore um 12.45 Uhr (sonntags schon um 11.45 Uhr) ist mit einem längeren Psalm, Kurzlesung und Responsorien sowie einem oder mehreren weiteren Psalmen versehen. In Königsmünster wurde während meiner Anwesenheit nur der erste Psalm gesungen. Daher nehme ich an, dass die übrigen Psalmen in der zweiten Woche genommen werden. Das Antiphonale sieht zudem die Möglichkeit vor, statt einer Mittagshore bei Terz, Sext und Non zu bleiben, mit der zweiten Psalmenreihe sowie dem sonst als Responsorium der Vigil verwendeten Psalm 119.
Im Konventamt um 17.45 Uhr finden sich die (außer dem Salve Regina am Schluss der Komplet) einzigen lateinischen Gesänge. Proprium und Ordinarium werden aus dem Graduale Triplex gesungen, allerdings während meiner Anwesenheit ohne Graduale (nur Alleluia vor dem Evangelium) und ohne Offertorium. Die Vesper schließt sich in Königsmünster direkt an das Konventamt an, nur sonntags findet das Konventamt um 9.30 Uhr statt und die Vesper um 17.45 Uhr. Die Komplet wird um 20.15 Uhr gesungen, freitags schon um 19.40 Uhr.
Das nüchterne, relativ schlichte Stundengebet nach dem Benediktinischen Antiphonale passt gut zur Architektur der Abteikirche wie der gesamten Abtei. Die gesamte Anlage und auch das Leben in ihr, soweit ich das einschätzen kann, sind geradezu ein Musterbeispiel nachkonziliarer Reform.
Mir persönlich erscheint das alles sehr nüchtern. Auch melodisch erinnert vieles im Antiphonale an die eher drögen Gottesloblieder aus den 50er bis 70er Jahren. Das fällt hier besonders im Vergleich mit dem Graduale Triplex auf.
Der Münsterschwarzacher Psalter ist schön, aber nach gut zwei Jahren mit der lateinischen Liturgia Horarum ist mir ein deutscher Psalter zu transparent und zu anstrengend. Ich kann der Textflut kaum folgen. Das Latein bietet da mehr Freiräume. Und die nahezu vollständige Eliminierung des Latein aus der Liturgie hinterlässt einen faden Beigeschmack.
Mir erschließt sich immer weniger, worin der Gewinn einer rein muttersprachlichen Liturgie besteht. Nach vierzig Jahren ist diese zum Normalfall geworden, die früheren Verhältnisse haben sich praktisch umgekehrt – und damit auch die liturgischen Probleme und Schwierigkeiten. Jetzt ist das Alte das Neue. Und das Neue sieht schon ganz schön alt aus.
Was treibt Dich in die Gegend meiner Heimat?
Ja Meschede ist mir sehr bekannt und auch seine Abtei, lange Zeit verrucht als „Hochburg der warmen Brüder“, aber das war unter dem Alt-Abt. Im Studium habe ich auch mal eine Weile mit einigen Königsmünsteranern, die eine Studien-WG in Münster hatten, morgens die Laudes gesungen. Was mir für benediktinische Gefühle etwas gegen den Strich ging, ist dich doch sehr stark vereinfachte Psalmodie: Der Initium beim jeweils ersten Vers unterblieb, bei den neutestamentlichen Cantica Benedictus und Magnificat Initium nur beim ersten Vers (also wie normalerweise Psalmodie). Die ewige Variationsmöglichkeit des Invitatoriumpslam ist eine Frucht des „Reichhaltigermachenwollens“ der Liturgie, weshalb wir ja im „normalen“ Studenbuch die verschiedenen Möglichkeiten haben. Auch so manchen Hymnen scheinen sich ja ad libitum austauschen zu lassen, so daß die jeweiligen Gebetshoren meist damit anfangen: „Wat nehm’wa denn heute?“ Und man soll es gar nicht unterschätzen: Die Leute, die mit dem Stundengebet anfangen, finden die Wahlmöglichkeiten zunächst toll. Ich erinnere mich noch an die Zeit, als ich häufiger mal mit einer Theologiestudentin (also jetzt nicht die übliche Klientel, sondern schon sehr geerdet) Brevier gebetet habe. Als ich in der Fastenzeit zum x-ten Mal denselben Hymnus nahm, meinte sie, warum wir nicht mal den anderen nehmen.
Die dauernden Wahlmöglicheiten wären nicht so mein Ding, Ersatzcantica für Benedictus und Magnificat schon garnicht. Letzlich finde ich es bedauerlich, wenn sich jedes Benediktinerkloster, jeder andere Orden in seinen Niederlassungen und jeder Weltpriester seine eigenen Horen zimmert – der Gedanke des großen, einen und einigenden Gebetes – una voce – rund um die Erde bleibt irgendwie auf der Strecke. Aber ich möchte damit nicht die Freude an einem Aufenthalt in Meschede trüben – in diesem Sinn: noch viel geistliche Bereicherung!
Stanislaus, was mich nach Meschede trieb, waren zum einen logistische Gründe (es gibt nicht viele Klöster im norddeutschen Raum), zum anderen war ich vor 23 Jahren mal in der Oase. Deshalb war mir das Kloster nicht ganz unbekannt.
Gegen Meschede als solches würde ich auch nichts sagen. Vox Coelestis hat aber gar nicht so Unrecht mit dem auf der Strecke Bleiben der una voce: Es gibt ein ordentliches Brevier für die weltlichen Kleriker und ein monastisches. Dann gibt es noch die „altmonastischen“, die Gemeinden feiern – wenn überhaupt – nach Gotteslob. Und dann bringen einzelne Verlage wieder Sonderformen wie „Magnificat“ und „Te Deum“ auf den Markt. Ist das der Wunsch des letzten Konzils?