in Catholica

Bis zum Äußersten

Es gibt zwei Tage im Jahr, an denen Frau K. in die Kirche geht – Heiligabend und Karfreitag. Frau K. ist Protestantin, das erklärt Einiges. Denn der Karfreitag gilt den Protestanten als höchster Feiertag des ganzen Jahres. Und das ist nicht einmal falsch. Man könnte sagen: Der Karfreitag ist der Mittelpunkt, um den sich das ganze Kirchenjahr dreht. Was am Karfreitag geschieht, das geschieht in jeder Messe: Gott selbst liefert sich dem Menschen aus. Er gibt sich in die Hände des Menschen.

Am Karfreitag geht er bis zum Äußersten, bis zum Tod am Kreuz. Er gibt sich selbst. Aus Liebe. Genau das heißt Liebe: Hingabe. „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“, sagt Jesus Christus im Johannesevangelium (15,13). Sich selbst hingeben. Das tut Gott selbst am Karfreitag. Damit wird er, wie der Hebräerbrief sagt, zum Hohenpriester. Er tut das, um uns Menschen zu gewinnen – unser freies Ja der Liebe. Weil wir frei sind, muss Gott auf dieses Ja warten. Oder anders: Würde Gott uns zwingen, wären wir nicht frei. Und von Liebe könnte keine Rede sein.

Joseph Ratzinger schreibt in seiner Einführung in das Christentum (274f.):

Das Kreuz ist Offenbarung. Es offenbart nicht irgendetwas, sondern Gott und den Menschen. Es enthüllt, wer Gott ist und wie der Mensch. […] Dass der vollendete Gerechte, als er erschien, zum Gekreuzigten, von der Justiz dem Tod Ausgelieferten, wurde, das sagt uns nun schonungslos, wer der Mensch ist: So bist du, Mensch, dass du den Gerechten nicht ertragen kannst – dass der einfach Liebende zum Narren, zum Geschlagenen und Verstoßenen wird.

Mit Jesus Christus ist Gott selbst am Kreuz gestorben – und zugleich ein Mensch. „Wir haben ja nicht einen Hohenpriester, der nicht mitfühlen könnte mit unserer Schwäche, sondern einen, der in allem wie wir in Versuchung geführt worden ist“, sagt der Hebräerbrief (4,15). Einer von uns. Warum ist das wichtig? Weil damit alles schon getan ist: Die Menschheit ist mit Gott versöhnt. Wir müssen uns nicht mehr selbst rechtfertigen vor Gott – was ohnehin, wie jeder weiß, ein vergebliches Bemühen ist.

„Er hat für uns beim ewigen Vater Adams Schuld bezahlt und den Schuldbrief ausgelöscht mit seinem Blut, das er aus Liebe vergossen hat“, heißt es im Exsultet, dem feierlichen Lobgesang der Osternacht. Mit Christi Tod am Kreuz hat ein Mensch Adams Schuld bezahlt, die in der Abwendung von Gott bestand. Der Mensch wird schuldig, indem er die Liebe Gottes zurückweist. Und deshalb wird Gott selbst Mensch, um den Menschen mit sich zu versöhnen.

Es hat also auch mit dem Kirchgang von Frau K. am Heiligabend seine Richtigkeit. Denn was feiern wir zu Weihnachten? Gott ist Mensch geworden. Ohne Weihnachten kein Karfreitag. Und kein Ostern. Das ist schon mal einen Kirchgang wert.

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