in Catholica

Nicht unmittelbar zu Gott

Die Meinung, der Einzelne stehe unmittelbar zu Gott, irrt. So konnte man erst denken, als man vergessen hatte, was es heißt, unter der unmittelbaren Wucht des Heiligen Gottes zu stehen, und an Stelle dieser Erschütterung das „religiöse Erlebnis“ getreten war. Da begann man zu behaupten, jeder könne und müsse es haben. In Wahrheit ist es dem Menschen nicht gemäß, unmittelbar zu Gott zu stehen. Gott ist heilig und redet durch seine Boten. Wer nicht bereit ist, den Boten anzunehmen, sondern den Herrn selbst hören will, zeigt damit, daß er nicht weiß – oder nicht wahr haben will – wer Gott ist, und wer er selbst. . Wir können das Gemeinte auch so ausdrücken: Gott hat das Wesen und das Heil des Menschen auf den Glauben gestellt. Dieser Glaube aber scheint mit seiner Reinheit und Härte erst herauszukommen, wenn er dem Boten gegenüber geleistet wird. Wer also Gott selbst zu hören verlangt, würde damit zeigen, daß er im Grunde nicht glauben, sondern wissen; nicht gehorchen, sondern auf eigener Erfahrung stehen will.

Romano Guardini: Der Herr, 4. VI.

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Kommentar

  1. führt guardini noch weiter aus, was er unter „bote“ versteht? sind es bestimmte menschen, oder ist es alles, was unabhängig von uns selbst ist und von außen an uns herantritt?

  2. Die Passage steht in einer Auslegung zu Lk 16, 19-31. Etwas weiter oben im Text:

    Warum redet Gott nicht selbst zu uns? Wenn Gott alles erhält und durchwirkt – warum redet er dann nicht selbst in mir? Warum soll ich auf Gedrucktes und Gesprochenes angewiesen sein, auf Lehrer und Prediger? […] Die ausdrückliche Offenbarung der Wirklichkeit und des Willens Gottes kommt nur durch Menschen an mich. Nach seinem Ratschluß beruft er einen Einzelnen, und redet offen zu ihm. […] Der Gerufene hört das Wort und gibt es an die Anderen weiter: „Also spricht der Herr!“ Diesen Weg hat Gott gewollt, und wenn wir uns durch ihn belehren lassen, sehen wir, daß er im Grunde allein menschengemäß ist.

  3. danke.
    interessant finde ich, dass „der gerufene“ ja auch ein mensch ist. hört dieser gerufene dann den willen gottes für sich selbst wiederum durch einen anderen „gerufenen“? oder geh ich jetzt zu sehr in die details?

  4. Nein, keine unendliche Rekursion. Etwas früher im Text nimmt Guardini Bezug auf Mose und die Propheten (man lese Lk 16, 19-31: „Sie haben Mose und die Propheten, auf die sollen sie hören“). Es gibt also Menschen, zu denen Gott direkt spricht.

  5. ich seh schon ich sollte das mal alles im original nachlesen 🙂
    hab bisher nur ein kleines büchlein von guardini durch.
    danke auf jeden fall für die infos.

  6. Romano Guardini bringt die Sache in der Tat auf den Punkt:

    Wer also Gott selbst zu hören verlangt, würde damit zeigen, daß er im Grunde nicht glauben, sondern wissen; nicht gehorchen, sondern auf eigener Erfahrung stehen will.

    So ist es! Und genau hier fängt das Dilemma für beide Seiten, nämlich für die, welche diese Haltung mit Guardini verwerfen, wie auch für die, welche genau diese Haltung gegen Guardini verteidigen, an. Ich glaube freilich, daß die Adepten Guardinis insgesamt hier größere Schwierigkeiten haben werden — aber, wie gesagt: auch die Gegenposition hat ihre Probleme.

    Wer hier gegen Guardini argumentiert, steht im Beweisnotstand, das je eigene, je unmittelbare Gotteserlebnis für eine hinreichend große Zahl von Menschen nachweisen zu müssen.

    Wer mit Guardini argumentiert, sieht sich im Zirkelschluß, daß das Vertrauen auf „Boten Gottes“ ohne die Möglichkeit einer Überprüfung (und die kann begrifflich wohl nur „unmittelbar von Gott“ sein) notwendigerweise blind ist. Und blindes Vertrauen in Menschen (auch wenn sie „Boten Gottes“ zu sein behaupten) erzeugt in mir (und wohl nicht nur in mir!) lebhaftes Unbehagen …

    Wer argumentiert, daß die Prüfung der Gottesboten-Eigenschaft ohnehin durch die Vernunft erfolge (was in etwa die klassische, m.E. freilich nie richtig durchdachte, RKK-Doktrin ist!), der nimmt freilich auf diesem Weg faktisch (und vermutlich ohne es zu wissen) hin, seinen Standpunkt ins Gegenteil zu verkehren.

    Die Anti-Guardini-Position kann sich (mangels Nachweis einer allgemeinen unmittelbaren Gotteserfahrung) nur über den Umweg behaupten, daß eine solche unmittelbare Gotteserfahrung zwar möglich und wünschenwert, aber offenbar nicht zwingend heilsnotwendig (also etwas „nice to have“, sozusagen). Wie ich zugebe: 100% zufriedenstellend ist das auch nicht, und vermutlich nicht genug, um darauf Religionen und Kirchen zu bauen …

    Es ist alles sehr kompliziert, wie ein ehemaliger österreichischer Bundeskanzler zu seufzen pflegte …

  7. Glaube, LP, der Beweis folgt später … oder auch nicht.

    Einen Beweis kann auch nicht in der Massenhaftigkeit einer Erfahrung gefunden werden. Ob es einmalig ist (das ist es ohnehin) oder massenhaft ist völlig ohne Belang.

    Ein Glaube, der einen Beweis verlangt bevor er glauben will, ist wertlos.