in Liturgia

Die Liturgiekonstitution

Teil 4 meiner kleinen Reihe zur Liturgie (Teil 1: Die heutige liturgische Praxis, Teil 2: Die Liturgiereform, Teil 3: Das Missale von 1969/1970)

Konzilsdokumente sind meistens eine recht trockene Sache. So ein Konzil, das sich gewaschen hat, legt den rechten, katholischen und apostolischen Glauben dar, um anschließend in gebotener Kürze die jeweiligen Irrtümer der Zeit zu verwerfen und ihre Anhänger auszuschließen, mit jener berühmten Formel des anathema sit.

Nicht so „unser Konzil“, wie ich neulich das Zweite Vaticanum bezeichnet hörte. Seine Texte sind anders. Zwar auch zäher Stoff, aber recht ausführlich, um nicht zu sagen: geschwätzig.

Die Konzilsväter legten offensichtlich viel Wert auf den Entwurf einer positiv formulierten Vision für die Kirche. Viele Texte und auch einzelne Abschnitte beginnen fast hymnisch mit einem emphatischen Ausblick auf das große Ganze.

Verzichtet haben sie dafür auf die Abgrenzung ihrer Lehre zum Irrtum und auf dessen Verwerfung. Das mag durchaus zum Schaden der nachkonziliaren Rezeption gewesen sein und die Vielfalt seiner Interpretation wie auch die fehlgeleitete Berufung auf den ominösen Geist des Konzils begünstigt haben.

Die Liturgiekonstitution ist nicht zufällig als erstes Dokument verabschiedet worden, und der selbstreferentielle Name ist Programm: Sacrosanctum Concilium, das Heilige Konzil. Die Liturgie war das wichtigste Anliegen der Konzilsväter, und mehr als das, wie Joseph Ratzinger schreibt:

Daß sie am Anfang stand, hatte zunächst pragmatische Gründe. Aber rückschauend muß man sagen, daß dies in der Architektur des Konzils einen guten Sinn hat: Am Anfang steht die Anbetung. Und damit Gott. Dieser Anfang entspricht dem Wort der Benedikt-Regel (XLIII,3): Operi Dei nihil praeponatur. Die Kirchenkonstitution, die dann als zweiter Text des Konzils folgt, sollte man damit innerlich verklammert sehen. Die Kirche leitet sich aus der Anbetung her, aus dem Auftrag, Gott zu verherrlichen.

Die Liturgiekonstitution verwendet viel Mühe darauf, Sinn und Geist der Liturgie sowie ihren logischen Ort im Leben der Kirche zu erläutern. Erneuerung und Pflege der Liturgie ist ihr Doppelthema, „die dem Wechsel unterworfenen Einrichtungen“ seien „den Notwendigkeiten unseres Zeitalters besser anzupassen“, heißt es schon im Vorwort. Die Seelsorger sollen

bei liturgischen Handlungen darüber wachen, daß nicht bloß die Gesetze des gültigen und erlaubten Vollzugs beachtet werden, sondern auch daß die Gläubigen bewußt, tätig und mit geistlichem Gewinn daran teilnehmen. (11)

Hier klingt zum ersten Mal jenes zum Schlagwort gewordene Motto an, das der Text vielfach wiederholt und das zur Rechtfertigung und Parole allen möglichen Umbaus geworden ist: actuosa participatio, die tätige Teilnahme der Gläubigen. Sie ist in der Tat das neue Element, das neben die Rubriken und liturgischen Gesetze tritt und sie – entgegen dem Willen des Konzils – in der Praxis bald weitgehend verdrängen wird.

Die Konzilsväter verzichten auf eine konzise Definition der tätigen Teilnahme und stellen stattdessen einige Regeln für die gewünschte Erneuerung der Liturgie auf (21-46). Dass viele dieser Regeln im Laufe der nachkonziliaren Entwicklung weitgehend ignoriert wurden, bedarf vermutlich keiner besonderen Erwähnung mehr.

Man kann den Verzicht auf eine Definition der actuosa participatio durchaus als die zentrale Schwäche der Liturgiekonstitution ansehen. Denn dieser Verzicht hat dem aktionistischen Missverständnis Tür und Tor geöffnet, dass

möglichst viele möglichst oft für alle sichtbar in Aktion treten müßten. (Ratzinger, Der Geist der Liturgie, 147)

Die eigentliche actio der Liturgie, schreibt Ratzinger, ist indes das Hochgebet, die oratio, die den Kern der Eucharistiefeier bildet.

Die eigentliche „Aktion“ in der Liturgie, an der wir alle teilhaben sollen, ist Handeln Gottes selbst. […] Die Einzigartigkeit der eucharistischen Liturgie besteht eben darin, daß Gott selbst handelt und daß wir in dieses Handeln Gottes hineingezogen werden.

Oder um Scipio zu zitieren:

dann besteht meine aktive Teilnahme, meine participatio actuosa vor allen liturgischen Einzelaktivitäten darin, IHn mich gestalten zu lassen, SEine Verheutigung in Brot und Wein und im Wort der Heiligen Schrift mit wachem, hingegebenem, horchendem, gehorsamem Herzen wahr-zu-nehmen, entgegenzunehmen.

Kleiner Einschub in diesem überlangen Beitrag: Da ist sie wieder, die theologische Bindestrich-Macke, mit der harmlose Wörter in ihre Einzelteile zerlegt werden. Sie findet sich auch reichlich in Ratzinger-Texten.

Zurück zum Thema: Selbstverständlich setzt „Sacrosanctum Concilium“ ein solches Verständnis von tätiger Teilnahme voraus, es scheint an vielen Stellen durch. Aber der Verzicht auf eine Klarstellung dürfte zur verheerenden Wirkungsgeschichte dieser Konstitution erheblich beigetragen haben.

Ich könnte mich jetzt ausführlich mit den Grundsätzen und Regelungen für die gewünschte Liturgiereform befassen und darlegen, wo sie nicht eingehalten wurden. Zahlreiche Beispiele finden sich anderswo zur Genüge.

Stattdessen begnüge ich mich mit der Bemerkung, dass die in „Sacrosanctum Concilium“ formulierte große Vision für die Liturgie der Kirche heute weiter von der Verwirklichung entfernt ist als vor 43 Jahren – und dass an entscheidenden Punkten präzisere Formulierungen womöglich hilfreich und nützlich gewesen wären.

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Kommentar

  1. Nicht, dass man das II. Vat.Konzil und die Konzilstexte nicht kritisch unter die Lupe nehmen dürfte,sollte…
    aber überstrapazierst du da nicht die Missinterpretationen der „actuosa participatio“ zu Ungunsten der wesentlich umfangreicheren und theologisch dichten Konstitution SC?
    SC bietet weit mehr als dieses Schlagwort von der „tätigen Teilnahme“.

  2. Theologisch und -retisch (um meine Bindestrich-Macke weiterzupflegen ;-)) stimmt das mit der Überstrapazierung vielleicht, aber ich denke, man darf schon von dem ausgehen, was von SC in der Kirche um uns herum am stärksten gewirkt hat, und da gehört das „möglichst viele möglichst oft und möglichst sichtbar“ als Übersetzung der actuosa participatio auf jeden Fall dazu. [Erst kürzlich habe ich es wieder aus dem Mund eines unserer großen lokalen Diplomtheologen bei einer Lektorenschulung vernommen – mit ausdrücklicher Berufung aufs Konzil und auf das, was Liturgie eigentlich ist…]

    Daß nach dem Konzil vieles so gekommen ist, wie es kam, ist nicht _Schuld_ des Konzils, sondern höchstens _ermöglicht_ durch das Konzil oder (fälschlicherweise) mit dem Konzil _legitimierbar_: Der 68er Geist einer radikalisierten Moderne hat die „Schwächen“ des Konzils und seiner Texte radikal ausgenutzt und eine Schar gutmeinender Helfer und Helfershelfer gefunden… („Wenn viele kleine Leute an vielen kleinen Orten viele kleine Dinge tun…“)

  3. Ich stimme Scipio zu.

    Eben daß das Konzil (das letzte) auf dem Boden der Tradition stand wurde ihm zum Verhängnis. Weder die Väter noch der Papst dachte daran, jemand könne eine Hermeneutik der Diskontinuität ersinnen.

    Deshalb hat zwar Johannes XXIII in seiner Eröffnungsrede abgesteckt, daß das Konzil wolle nichts inhaltlich neues, weil das ja schon ausreichend vorhanden sei (in Verkennung versteckter Häresie), doch das Konzil setzte dies einfach stillschweigend voraus. Das Konzil bestätigte zwar alles vorhergende, insbesondere das Erste Vatikanum (weshalb ja auch Hans Küng inhaltlich betrachtet einer der schärfsten Gegner des Zweiten Vatikanums ist), aber in einer solchen Weise, daß es später leicht ignoriert werden konnte.

    Insofern ist dem Konzil (dem bisher letzten) und auch dem Dokument SC kein Vorwurf zu machen außer dem, vielleicht zu arglos gewesen zu sein.

  4. Daß nach dem Konzil vieles so gekommen ist, wie es kam, ist nicht _Schuld_ des Konzils, sondern höchstens _ermöglicht_ durch das Konzil oder (fälschlicherweise) mit dem Konzil _legitimierbar

    Wenn der Aufsichtsrat eines Unternehmens ein neues Unternehmenskonzept absegnet, bei dem sich niemand auskennt, das in der Folge daher von den kleinen Abteilungsleitern total mißverstanden und falsch ausgeführt wird, un der Aufsichtsrat (und hier v.a. sein Präsident) kein Ohrwaschel rührt, um diese Mißinterpretationen abzustellen, dann ist er schuld. Und was für Großkonzerne gilt, ist mutatis mutandis wohl auch auf andere Großorganisationen anwendbar.

  5. Was aber wenn der Aufsichtsrat gesagt hat, „im übrigen wie bisher“ … nur nicht laut genug.

    Sicherlich, kann man ihm das vorwerfen, aber die Hauptverantwortung für eine Missetat liegt nunmal bei dem Täter.

  6. @Str:

    Schuld trägt nicht nur der Täter, sondern ebenso (!) der, der das pflichtgemäße Handeln unterließ. Und das ist hier wohl evident der Fall, denn folgende Punkte sind – glaube ich – ziemlich unbestreitbar:

    1. Hätten die Konzilsväter des V2 gewußt, was aus „Sacrosanctum Concilium“ herausgelesen werdne wird, hätten sie größtenteils mit Entsetzen reagiert und das Dekret völlig anders textiert.

    2. Eine Minderheitengruppe wollte (vornehmlich aus „ökumenischen“ Gründen) eine möglichst weitgehende Angleichung an protestantische Gottesdienste und setzte das via nachkonziliarer Reformkommission geschickt durch.

    3. Paul VI. spielte ziemlich lange mit und damit war bei der tief-eingewurzelten Autoritätsgläubigkeit der Bischöfe und meisten Gläubigen die Sache eigentlich „gegessen“. Bis auf ein paar Sedisvakantisten traute sich eigentlich keiner mehr, den Novus Ordo öffentlich in Frage zu stellen, nur ein paar Unentwegte, die keine Karrierenachteile mehr fürchten mußten (bzw. denen das einfach egal war), handelten sich privatim einen Verbleib im alten Ritus heraus nach dem Motto „Hinter mir die Sintflut“. Nicht nett, aber irgendwie verständlich.

    Eine Rückkehr zum Ritus von 1962 (bzw. früher) wird es realistischerweise nie mehr geben. Wem daher an der Erhaltung dieses Ritus liegt, der muß jeden Versuch, ihn zu „reformieren“ entschieden ablehnen. Denn was daraus wird, sah man ja 1965-69, und es gibt keinen vernünftigen Grund, daß es jetzt auf einmal anders sein sollte.

    Eine „Reform der Reform“, also quasi ein „verbesserter Novus Ordo“ ist natürlich möglich (den derzeitigen Zustand kann man eigentlich nur verbessern!) und wünschenswert, aber sollte strikt getrennt betrachtet werden von der Frage der erweiterten Wiederzulassung des Ritus von 1962 (der an sich ja auch nicht das Gelbe vom Ei ist, aber daran herumzudoktern wäre in der derzeitigen Situation wohl fatal). Diese „Reform der Reform“ müßte zwar vom Ritus von 1962 her angegangen werden (von wo aus denn auch sonst!), dürfte ihn allerdings nicht obsolet zu machen versuchen – denn sonst ist die liturgische Tradition wirklich endgültig den Bach runter.

  7. DerDenker,

    deshalb sagte ich ja auch „Hauptverantwortung“. Ich will sicherlich nicht die Mitverantwortung bestreiten.

    Ein Reform der Reform kann sicher nicht ausschließlich an 1962 anknüpfen, dann wäre sie ja auch keine Reform der Reform.

    Nein, sie muß am NOM ansetzen, jedoch unter starker Berücksichtigung der gesamten, durch die Reform verschüttete Tradition – und das ist nicht nur 1962 oder eine degenerierte Version des tridentinischen Ritus.

    Wie jeder, der meinte, es könne nicht schlimmer kommen, irren auch sie hierin.

    Die Frage der Wiederzulassung von 1962 ist wirklich eine separate, wenn auch verbundene. Eine Reform der Reform (im besten Sinne, siehe oben) hätte meiner Meinung nach schon die Absicht die 1962er Version obsolet zu machen, jedoch nicht durch ein Verbot sondern dadurch, daß die derzeitige Attraktivität schrumpft. Denn letztlich wäre (und so war es ja vor der Reform) der Normalfall eines einzigen Hauptritus im Westen.

  8. Je länger ich darüber nachdenke, desto weniger dramatisch finde ich die Parallelexistenz zweier Messbücher des römischen Ritus. Es sind eben nicht zwei Riten, sondern unterschiedliche Formen des einen Ritus.

    Aber sei es drum, auch zwei Riten wären nicht schlimm, solange sie beide voll im Strom der Tradition stehen und nicht in der Beliebigkeit von Liturgiekreisen. Wieder einmal Ratzinger (Der Geist der Liturgie, 140):

    Erst die Liturgiereform nach dem II. Vatikanischen Konzil hat mit ihrem Mühen, das Römische in seiner Reinheit wiederherzustellen, das gallikanische Erbe weitgehend zum Verschwinden gebracht, wie denn überhaupt erst nun die radikale Vereinheitlichung der Liturgie durchgeführt wurde, wenn auch zuvor schon im 19. Jahrhundert die immer noch bestehenden Sonderriten von Orten und Orden immer mehr verschwanden.

  9. Ich denke, str hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Weder Papst Johannes XXIII, noch die Konzilsväter dachten daran, dass das Konzil und seine Dokumente im Westen von Häretikern aller Art gekidnappt werden würden.

    Ein Blick etwa nach Osteuropa (von anderen Kontinenten wie Afrika oder Asien gar nicht zu sprechen) kann vielleicht ganz erhellend sein: hier gab’s keine nennenwerten häretischen Strömungen, sodass die Liturgiereform ohne Probleme in einer einheitlichen Form durchgesetzt werden konnte. In Polen, Ungarn oder Kroatien kann man auch heute überall in die Messe gehen, ohne Zittern zu müssen, ob nicht mal wieder die Regenbogenstola des Priesters obenauf in der Schublade gelegen ist oder Kinder um den Altar tanzen werden, von Schlimmerem gar nicht zu sprechen. Wäre die Umsetzung überall so verlaufen, gäb’s diese ganze Debatte wohl nicht, und auch die Alte Messe würde von viel weniger Leuten gewünscht als es derzeit der Fall ist.

  10. @Petra das gilt weitestgehend übrigens auch für Italien; wenigstens bislang; ich weiß schon, dass selbst dort so mancher Schutt aus dem Norden importiert wurde…- davvero peccato!

Webmentions

  • Commentarium Catholicum » Kleine Zwischenbilanz 26. November 2006

    […] Die Liturgiekonstitution stand nicht am Anfang der Liturgiereform des 20. Jahrhunderts, sondern inmitten eines schon geraume Zeit vorher begonnenen Prozesses. Sie diente als höchstinstanzliche Legitimation für eine Reform, die sie weder intendiert noch initiiert hatte. […]

  • Commentarium Catholicum » Weit hinaus 26. November 2006

    […] Die Liturgiekonstitution […]

  • Commentarium Catholicum » Das Missale von 1969/1970 26. November 2006

    […] Teil 4: Die Liturgiekonstitution […]