Susanne Leinemann referiert in der Berliner Morgenpost, warum 2005 für Protestanten ein schwieriges Jahr und zugleich ein überfälliger Weckruf war. Es begann mit dem öffentlichen Sterben Papst Johannes Pauls II.
Als Protestant konnte man etwas irritiert beobachten, wie Menschen sichtlich bewegt und doch grundtief optimistisch Abschied nahmen. Da war nichts Verkopftes, Vergeistigtes zu spüren, wie es einen in den kargen evangelistischen Akademien anweht, wenn dort über „Hilfe zum Sterben“ diskutiert wird. Die Millionen Pilger waren der Ausdruck purer körperlicher Tat.
Doch es kam noch härter für unsere Brüder im Herrn.
Aber nun waren wir Papst. Plötzlich stellte man sich als Protestant eine Frage, die zuletzt vor Jahrhunderten akut gewesen war. Was zählt: die Nation oder die Religion? Sind wir Papst oder sind nur die Papst – die Katholiken, die anderen? Und kann ich meinen Frieden machen mit Ratzinger, dem Professor für Dogmatik, der so lange als erstarrend, ja reaktionär gegolten hatte?
Man mußte. Allein aus Respekt vor den hunderttausenden Jugendlichen, die im August zum katholischen Weltjugendtag nach Köln reisten. Wieder rieben sich die Protestanten die Augen. Seit wann war die katholische Kirche so attraktiv für junge Menschen? Die Rolle als junge, weltoffene, zeitgeistige Kirche hatten in Deutschland doch die Evangelischen für sich gepachtet. Auf dem legendären „Markt der Möglichkeiten“ der Kirchentage findet traditionell jede noch so abseitige Gruppe und Jugendbewegung Gehör. Die evangelische Kirche bietet jedem einen Platz. Die katholische Kirche stellt Bedingungen. Sie läßt niemanden fallen, aber sie macht aus ihrem Mißfallen für bestimmte Lebensformen auch kein Hehl. Sie war nie maximal tolerant. Im Gegenteil.
Bis vor wenigen Jahren war das ein Standardargument unter Jugendlichen, um den katholischen Glauben zu meiden. Wenn es schon Kirche sein mußte, dann bitte nur evangelisch. Spätestens in diesem Herbst war dieser Bonus für Protestanten passé. […] Die katholische Kirch wirkt kraftvoll und strahlend wie lange nicht mehr. Weil sie bewußt nicht nur an Traditionen und Formen, sondern auch an einer gewissen Strenge festhält, die von Protestanten allzu leichtfertig aufgegeben wurde.
Den Hinweis verdanke ich Alfred in den Kommentaren.
diesem artikel kann selbst als protestant leider, leider kaum noch etwas hinzufügen. es muss sich etwas tun, das ist klar!