in Catholica

Moralische Ordnung

Die Nazis wollten […] niemanden nur aus der moralischen Gemeinschaft ausschließen, sondern sie wollten die traditionelle moralische Ordnung gänzlich beseitigen.

Nach Zimmermanns Recherche, die sich auf Untersuchungen von Gunnar Heinsohn stützt, wusste der sonst ungebildete Hitler, dass der historische Anfang der abendländischen Moral im Judentum wurzelt. Darum musste Hitler mit der jüdisch-christlichen Tradition, in der Morden und Quälen von Menschen moralisch und rechtlich geächtet wird, brechen. Die Juden, die diese Tradition vor mehr als zweieinhalb Jahrtausenden begründeten, mussten verschwinden. Das neue Menschentum, das Hitler und seinen Ideologen vorschwebte, erforderte einen anderen Gattungsbegriff, mit dem das Recht auf Tötung und Folterung wiederhergestellt werden sollte.

Diese Umwälzung des Moralbegriffs und die Schaffung des neuen Menschen erforderte ein revolutionäres Erziehungsprogramm, das Hitler in „Mein Kampf“ ansatzweise schon ausgeführt hatte: Dazu gehört das „Aberziehen von weinerlichen Klagen, von wehleidigem Heulen“ und lernen, „Schläge zu ertragen“, ebenso wie das Ertragen des Unrechts nach dem Begriff der jüdisch-christlichen Rechts- und Moralordnung.

Aus diesem Programm ergab sich die Vernichtungsoption. Die Begründer der alten moralischen Ordnung hatten in der neuen keinen Platz mehr. Sie mussten vernichtet werden. Der Unterschied zum individuellen Täter ist der, dass der individuelle Mörder gegen die bestehende moralische und rechtliche Ordnung verstößt. Der Genozidtäter hingegen will eine neue Ordnung. Bei der Herstellung der neuen Ordnung darf er nicht von schlechtem Gewissen angekränkelt sein. Zimmermanns Ergebnis ist demnach: Nicht Amoralität weist den Weg nach Auschwitz, sondern moralisches Anderssein.

Zimmermanns Thesen sind plausibel und überzeugend, aber nicht neu. Bei Benedikt XVI. lesen wir zu einer Zeit, da er noch Kardinal Ratzinger hieß: Von den Nazis

„wurden die moralischen Ureinsichten des Menschen über gut und böse außer Kraft gesetzt. Alles, was der Herrschaft der Rasse bzw. alles, was der Heraufführung der zukünftigen Welt dient, ist gut – so wurde uns gesagt –, auch wenn es nach den bisherigen Einsichten der Menschheit als schlecht zu gelten hätte.“

Gegen oder ohne die Moral? Rezension von Detlef Horster in der Süddeutschen Zeitung.


ROLF ZIMMERMANN: Philosophie nach Auschwitz. Eine Neubestimmung von Moral in Politik und Gesellschaft. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2005. 268 Seiten, 12,90 Euro.

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