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Spaemann im Spiegel

Am Schluss eines Spiegel-Gesprächs (nicht online) mit Robert Spaemann findet sich dieser kleine, lakonische Dialog:

Spiegel: Gibt es das Böse?

Spaemann: Offensichtlich. Gómez Dávila sagt einmal, es ist noch nicht alles verloren, wenn Menschen nicht an Gott glauben. Aber gefährlich wird es, wenn sie stattdessen an den Menschen glauben und den Teufel für eine Fiktion halten.

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Kommentar

16 Kommentare

  1. Genau auf dem Punkt. Genauer: der größte Schaden für die Menschheit ist immer dann entstanden, wenn man die Existenz der Erbsünde bzw. des Bösen geleugnet hat: „Der Teufel spricht: es gibt mich nicht“. Unser Mitblogger Matthias Faustmann hat da mal einen ganz interessanten Vortrag darüber gehalten…

  2. „Spiegel: Gibt es das Böse? — Spaemann: Offensichtlich.“

    Wer bestreitet, daß es Böses gibt, hat offensichtlich ein Problem mit der Wahrnehmung der Realität. Aber anzuerkennen, daß es Böses gibt, impliziert nicht notwendig, „das Böse“ schlechthin oder gar „den Bösen“ gäbe. Mir ist auch völlig schleierhaft, wozu das Konzept eines personalisierten Bösen taugen soll. Wenn ich böse handle, bin ich persönlich schuldig, nicht der Teufel oder sonstwer. Böses ist immer personale Verfehlung und nur als solche schuldhaft zuzurechnen. „Satan“ & Co. verunklären hier m.E. bloß die Verantwortlichkeit des Menschen.

    „Spaemann: Aber gefährlich wird es, wenn sie stattdessen an den Menschen glauben und den Teufel für eine Fiktion halten.“
    Ersteres kann ich unterschreiben. an den Menschen zu glauben ist in der Tat entweder blauäugig naiv oder sehr infam kalkuliert. Warum aber der Teufel deshalb keine Fiktion sein muß, ist daraus nicht erklärt. Wir wissen einfach nicht, ob „der Teufel“ ein Symbol ist für die freie negative Entscheidung des Menschen, oder ob es wirklich sowas gibt. Und wenn, wäre noch immer ungeklärt, wie er auf freie Entscheidungen des Menschen wirken könnte (wären die dann noch frei?).

    @Petra: „…der größte Schaden für die Menschheit ist immer dann entstanden, wenn man die Existenz der Erbsünde bzw. des Bösen geleugnet hat“

    Nun, wenn ich mir die augustinisch-pelagianischen Streitigkeiten so ansehe, habe ich nicht den Eindruck, daß es ein Schaden gewesen wäre, wenn die Kirche mit Pelagianus bzw. Julianus von Eclanum auf das KOnzept der Erbsünde verzichtet hätte — ganz im Gegenteil! Gerade das Erbsünden-Konzept, das Augustinus zur Annahme einer „massa damnata“ brachte, zeitigte im Reformationszeitalter höchst unselige Früchte in Gestalt einer übersteigerten Erlösungslehre. Und die katholische Anwort darauf in Gestalt des Jansenimus und seiner rigoristischen Verstiegenheiten war auch nicht gerade das, was der Menschheit genützt hat.

    Das Konzept der Erbsünde hat eben klar auf der Hand liegende Probleme, die mit augustinischer Rhetorik bis heute bloß zugekleistert, jedoch nicht gelöst werden. Eine Erbsünde ohne personales Verschulden des „Erbbesündeten“ verträgt sich eben schlecht mit der Annahme einer Willensfreiheit des Menschen und noch schlechter mit der eines allgemeinen Heilswillens Gottes. Natürlich kann ich in subtilen Distinktionen alles und jedes rabulistisch zu „beweisen“ versuchen — nur wird es deshalb auch glaubwürdig?

    Faktisch kann man feststellen, daß gerade das Erbsündenkonzept schon längst (spätestens seit dem Hochmittelalter) in den Köpfen der Menschen zunehmend als gescheitert anzusehen ist — sonst gäbe es nicht die gekünstelten Konstrukte eines „limbus puerorum“ und einer faktischen Totalrelativierung des Satze „extra ecclesiam nullum salus“ (wenn man sich Veranstaltungen wie JP 2’s Assisi-Treffen ansieht).

  3. LePenseur,

    Erbsündenlehre ist nicht gleich extremer Spätaugustinismus ist nicht gleich Protestantismus.

    Pelagianismus führt straks zur einer Leistungsreligion und einer Leistungsmoralität. Mit der muß man ohnehin kämpfen, aber der Pelagianismus machte die Niederlage unausweichlich.

    Und was „den Bösen“ angeht – der Teufel ist nicht „das Böse“, sondern auch nur ein gutgeschaffenes Wesen, daß in Sünde gefallen ist, allerdings das erste. Man kann seine Wichtigkeit sicher übertreiben, aber was Petra meinte (glaube ich) war, daß wenn man das Böse nur in bewußten Willensentscheidungen oder änderbaren Strukturen zu suchen meint, eben die bleibende Präsenz des Bösens verkennt und ihm (dem Bösen) dadurch ein Schlupfloch bietet.

  4. @str1977:
    Pelagianismus führt straks zur einer Leistungsreligion und einer Leistungsmoralität. Mit der muß man ohnehin kämpfen, aber der Pelagianismus machte die Niederlage unausweichlich.
    „Herr, dunkel war der Rede Sinn“ 😉 Ich kenn‘ mich nicht ganz aus. Was verstehen Sie unter „Leistungsreligion“ und „Leistungsmoralität“. Wenn Pelagius sein berühmtes „Velle in arbitrio, posse in natura“ spricht, kann man ihm m.E. nur zustimmen. Was ich nicht kann, kann mir eben auch nicht schuldhaft zugerechnet werden. Und genau das tut die Erbsündenlehre, auch wenn sie mittlerweile schon fast bis zur Unerkennbarkeit abgeschwächt wurde.

    Augustinus spricht davon, daß die ungetauft versterbenden Neugeborenen zur Hölle verdammt sind. Im Mittelalter versuchte man sich über dieses drängende Problem (man bedenke die damalige Geburts- und Kindersterblichkeit!) durch Wallfahrten mit den toten Kindern zu helfen, bei welchen diese von den Müttern (oder anderen Verwandten) einem Gnadenbild gezeigt wurden und dann „durch ein Wunder“ kurz zum Leben erwachten, umgehend getauft wurden um dann ebenso geschwind wieder zu versterben (aber als gerettete Christen, versteht sich). Die Scholastik entwickelte dann die Lehre des „limbus puerorum“, welche im Prinzip bis heute eine zwar nicht definierte, aber traditionell gelehrte Meinung der Kirche ist.

    Augustinus hat mit dieser Erbsündenlehre m.E. einen mißmutigen Manichäismus in die damalige Kirche hineingetragen, der für die Zukunft verhängnisvoll (und zwar bis heute) werden sollte. Statt eine Religion des ernsthaften Bemühens um das Gute wurde das Christentum so zu einer der Selbstzerknirschung über die angebliche Unfähigkeit des Menschen, Gutes zu tun (denn der Mensch ist ohne Gnade völlig unfähig irgendetwas verdienstlich Gutes zu tun, und die Gnade kommt ausschließlich von Gott — das können Sie jederzeit bei Ott & Co. nachlesen). Wenn man hier noch Luthers sola-fide-Lehre dazumengt, landet man folgerichtig beim „pecca fortiter“ und im weiteren bei den „erlösten Christen“ Marke George W. Bush. Danke nein!

    Nun ist die Meinung des Augustinus aus seiner Biographie psychologisch nicht unnachvollziehbar, und die geschwinde Rezeption durch die Kirchenautorität verwundert auch nicht, da sie einem Hang zum Rigorismus einer sich entfaltenden Klerikerkirche sehr entgegenkam, denn wenn alle Sünder sind und nur die Priester die Gnadenkanäle zur Sündenbefreiung öffnen können, so ist das schon ein recht effektives System der Kontrolle der gesamten Bevölkerung … (das ist jetzt bewußt vereinfacht dargestellt — ich weiß genug von Theologie und Kirchengeschichte um zu erkennen, daß es daneben noch andere, durchaus „idealistische“ Motive gegeben haben mag!)

    Nur ändert das nichts am prinzipiell richtigen Motto des Pelagius: „posse sine peccato esse“. Man muß sich „nur“ bemühen. Wenn das „Leistungsmoralität“ sein soll (ich nehme mal an, Sie haben es in diesem Sinne gemeint), dann kenne ich leider keine „Nichtleistungs-Moralität“. Moral liegt eben im Verzicht auf das kurzfristig Gewünschte zugunsten des langfristig Wünschenswerten, um es einmal aus dem Stehgreif und etwas unvollkommen zu definieren …

    Und was die „bleibende Präsenz des Bösen“ betrifft: nun, es existiert, indem wir böse sind. Was wir ändern können, wenn wir wollen. Und am Nicht-wollen ist hier m.E. anzusetzen, nicht an irgendwelchen „dämonischen Einflüsterungen“, die – wenn man sie ernst nimmt – doch nur eine Quasi-Entschuldigung für den eigenen inneren Schweinehund darstellen.

  5. @str:
    Ich habe eher gemeint, dass die Leugnung der Erbsünde deshalb verhängnisvoll ist, weil es die menschliche Natur völlig missversteht, und dadurch mögliche katastrophale Konsequenzen politischer und gesellschaftlicher Experimente nicht in Betracht zieht. Das fing schon mit der Französischen Revolution an, aber der Kommunismus ist ein noch typischeres Beispiel dafür: es glaubt an die Perfektibilität des Menschen, „wenn nur die bösen gesellschaftlichen Differenzen ausgeschaltet sind“. Mal ganz abgesehen davon, woher diese Differenzen kommen und warum sie den Menschen zu des Menschen Wolf machen, wenn wir ja alle von Natur aus so gut sind, lässt dieses Missverstehen der menschlichen Natura das kommunistische Projekt schon von vornherein scheitern.

    Diese geht ja davon aus, dass durch die Aufhebung der Güterunterschiede, ja – in manchen Extremformen – fast allen Privatbesitzes sozusagen das Paradies anbrechen wird. Doch diese Umverteilung muss bewerkstelligt werden, und mal ganz abgesehen von der Gewalt, die unweigerlich am Anfang eines solchen Projektes steht, öffnet allein schon das System der Verteilung der Güter in so einer Wirtschaftsform der Korruption und Machtausübung Tür und Tor. Sie würde nur funktionieren, wenn die Umverteiler Engel wären (ich sage nicht Heilige, die ja selber nicht ohne Sünde sind).

    Aber mit dem gefallenen Menschen funktioniert es einfach nicht und kann nicht funktionieren, denn die Hauptauswirkung der Erbsünde lässt sich mit einem Wort ausdrücken: Egoismus. (Nichts anderes mein Konkupiszenz.) Jeder ist sich selber der Nächste. Das hat natürlich auch einen positiven Aspekt, wenn es als Vorbild genommen wird für den Umgang mit anderen („Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“, „Keiner hat seinen Leib je gehassts“). Aber es hat in vielen Fällen ganz andere Folgen – die wir in uns selbst, in unserer Umgebung, in Zeitungen und Nachrichten und in Geschichtsbüchern besichtigen können.

    Es gibt gesellschaftliche und religiöse Systeme, die gerade durch das geschickte Ausnutzen der Konkupiszenz funktionieren (manche Kapitalismusformen, einige Elemente des Islam, die calvinistische Rechtfertigungslehre). Es gibt welche, die diese wiederum leugnen, und sich dann über die Auswirkungen wundern (Aufklärung, Kommunismus, Feminismus, auch das generische linksliberale Weltbild der Gegenwart). Und es gibt welche, die eine Umwandlung des Menschen durch die Überwindung der Konkupiszenz als Ziel haben (katholisches Christentum, bzw. mit ganz anderen Grundlagen und Menschenbild, aber ähnlichem Ziel der Buddhismus und manche meditative hinduistische Richtungen). Jedes menschliche Projekt muss eben diesen Umstand berücksichtigen.

  6. @Petra:

    Danke für die Erläuterung Ihres Standpunktes. Wenn man – wie Sie – „Konkupiszenz“ grosso modo mit „Egoismus“ gleichsetzt, finde ich das einen sehr interessanten Ansatz. Das impliziert m.E. aber nicht die Übernahme eines Erbsünden-Konzepts.

    Das fing schon mit der Französischen Revolution an, aber der Kommunismus ist ein noch typischeres Beispiel dafür: es glaubt an die Perfektibilität des Menschen (…] wenn wir ja alle von Natur aus so gut sind, lässt dieses Missverstehen der menschlichen Natura das kommunistische Projekt schon von vornherein scheitern.

    Völlig d’accord! „Der Mensch“ ist nicht per se „gut“. Er kann gut sein, wenn er es will. Es ist auch nicht per se „böse“ — er kann es aber sein, wenn er will. Pelagius und Julianus (um hier wieder anzuknüpfen) meinen mit dem Satz, daß die Natur gut sei, nicht, daß die Menschen notwendig edle, engelsgleiche Gestalten wären, sondern daß es nicht eine vorgängige Verderbtheit der menschlichen Natur gebe.

    Die Sozialwissenschaft und Psychologie liegt hier in etwa auf derselben Linie: Eigenschaften, die uns heute vordergründig stören (Agressionsverhalten, Egoismus etc.), sind evolutionsgeschichtlich notwendige und sinnvolle (mithin: „gute“) Verhaltensweisen, die nur jetzt angepaßt und mit anderen Verhaltensweisen harmonisiert werden müssen. Konrad Lorenz spricht in diesem Zusammenhang nicht zu Unrecht vom „sogenannten Bösen“!

    Es gibt gesellschaftliche und religiöse Systeme, die gerade durch das geschickte Ausnutzen der Konkupiszenz funktionieren […]. Es gibt welche, die diese wiederum leugnen, und sich dann über die Auswirkungen wundern (Aufklärung, Kommunismus, Feminismus, auch das generische linksliberale Weltbild der Gegenwart).

    Wieder volles Einverständnis. Wer so naiv ist zu glauben, daß durch gesellschaftlich-soziale Veränderung notwendig das Paradies auf Erden ausbrechen wird, der darf sich über die katastrophalen Folgen seines Tuns nicht wundern. Und insoferne geht mir altem „Aufklärer“ die Rousseau-Attitüde vieler Aufklärer auf die Nerven (Voltaire liegt da schon eher auf meiner Linie — mehr noch aber Männer wie der gute alte Freiherr von Knigge, dessen „Über den Umgang mit Menschen“ wohl nur von einem grenzdebilen Rezensenten als „Benimmbuch“ mißverstanden werden kann, oder der großartige Michel de Montaigne, dessen „Essays“ ein leich dahingeschriebenes, aber unschätzbares Kompendium praktischer Ethik darstellen).

    Jedes menschliche Projekt muss eben diesen Umstand berücksichtigen.

    Wieder völliges Einverständnis. Nur — um auf den Artikel zurückzukommen — impliziert auch das m.E. nicht die Annahme eines personalisierten „Bösen“ und die Erforderlichkeit eines Glaubens an die Existenz des Teufels …

  7. Penseur,

    genau in solchen Aussagen wie denen von Herrn Lorenz liegt das Problem: „das sogenannte Böse“, sprich es ist gar kein Böses, weil es kein Böses geben darf, weil es kein Böses geben kann, weil es ja niemand festlegen kann, was das sein soll, weil der Sprecher nunmal praktizierten Atheismus vorraussetzt.

    Solche Erklärungen, „evolutionär Notwendiges“ (wobei der Bereich extrem spekulativ ist) kann nicht böse sein, sind ja auch fundamental amoralisch.

    Was „Konkupiszenz“ und „Egoismus“ angeht: nein, die würde ich nicht gleichsetzen. Ich kann auch aus völlig altruistischen Motiven böse handeln. Gerade im Bereich politischer Ideologien sollten sich viele Beispiele finden lassen. Aber auch aus der Kirchengeschichte fällt mir da was ein: ich weiß nicht wie Sie zum Beispiel zu einer Figur wie Torquemada stehen, aber aus Egoismus hat er nunmal nicht gehandelt.

    „Der Mensch kann gut sein, wenn er will.“ Das ist eine Behauptung, die ich so nicht unterschreiben würde. Sicher, der Wille gehört dazu, aber was ist wenn derjenige so aufgewachsen ist, daß ihm bestimmte böse Verhaltensweisen nicht als böse bewußt sind? Sind sie dadurch weniger böse? Der Mensch ist eben nicht Schöpfer seiner selbst. Und genannten Egoismus kann man schon, ganz ohne Erziehung, bei Säuglingen beobachten.

    Was die obige Frage nach „Leistungsmoral“ angeht: das Problem ist dann die Einstellung, wer fehlt, der ist nicht nur selbst schuld (das ist eher zu einem guten Teil ja auch), sondern dem gehörts gar nicht anders, weg mit ihm. Was soll da noch Gnade, er hätte doch anders gekonnt. Er war doch frei. Der Pelagianismus schließt eben die Gnade aus, ist mithin in fundamentalem Widerspruch zum Evangelium.

  8. @str1977:
    Danke für Ihre Antwort. Darf ich Sie jedoch, um mich nicht wiederholen zu müssen, auf meine Argumentation im Thread „Werte brauchen Gott“ hinweisen – hier werden Sie manchen Hinweis finden, wie ich darüber denke.

    Nur kurz zu Ihrer Meinung, der Pelagianismus schließe die Gnade aus. Nun, ganz zutreffend ist das nicht. Er definiert „Gnade“ einfach anders, nämlich als gutes Beispiel, das uns durch Christus gegeben wird.

    das Problem ist dann die Einstellung, wer fehlt, der ist nicht nur selbst schuld (das ist eher zu einem guten Teil ja auch), sondern dem gehörts gar nicht anders, weg mit ihm.

    Das ist sicherlich eine problematische Haltung – aber eben nicht die meine! Als alter Apokatastasis-Anhänger denke ich doch an die schließliche Perfektibilität des Menschen (wenn auch u.U. erst im Jenseits – im Diesseits sind die diesbezüglichen Fortschritte leider etwas schwer auszumachen …), daher also nix mit „weg mit ihm“ 🙂

  9. @LePenseur:

    Ich habe die Ausführungen gelesen und werde es nochmal tun.

    Was die Umdefinierung von „Gnade“ angeht, kann ich nicht sehen, wie dann die Gnade noch Gnade bleibt. Gut, als Kind (oder auch als Erwachsener) gute Beispiele gehabt zu haben ist auch eine Gnade, eine Gnade Gottes, aber erschöpft sich die Gnade darin?

    „Das ist sicherlich eine problematische Haltung – aber eben nicht die meine!“

    LP, ich habe das jetzt mehrmals beobachtet bei Ihnen, deswegen antworte ich direkt: Nehmen Sie nicht alles persönlich! Beziehen Sie nicht alles auf „Ihre Position“! Ich habe nicht behauptet, daß Sie eine solche Haltung vertreten. Die Haltung steckt in jedem Menschen und außerhalb des Christlichen wäre sie noch nichtmal grundfalsch … aber der Pelagianismus ermöglicht es, das genuin Christliche entsprechen zu verwandeln. Und das ist das Problem.

  10. Noch ein Punkt (und vielleicht ist es das, was Sie mit ihrem Verweis auf den anderen Thread meinten):

    Natürlich können Atheisten ethisch handeln, aber dann handeln sie inkonsequent und nicht aus Vernünftgründen sondern aus Sentimentalität oder weil sie sich dennoch vorhandener religiöser Prägung nicht bewußt sind. Ich finde das ja gut, wenn sie so handeln, aber so ist es.

    Und ebenso ist es wenn der Pelagianer von Gnade und Barmherzigkeit spricht. Konseuqent ist das nicht, aber diese Inkonsequenz ist besser als eine unheilige Konsequenz.

  11. @str1977:
    “Das ist sicherlich eine problematische Haltung – aber eben nicht die meine!”
    LP, ich habe das jetzt mehrmals beobachtet bei Ihnen, deswegen antworte ich direkt: Nehmen Sie nicht alles persönlich!

    Nein, keine Angst — ich nehme keineswegs „alles persönlich“. So „ang’rührt“ (wie wir in wien sagen würden) bin ich gar nicht! Nur schreibe ich, wenn auf eine vorherige Argumentation von meiner Seits ein Gegenargument kommt, das eben nicht das logische Konter auf meine Ansichten — von denen ich hoffe zu wissen, was diese denn sind 😉 — ist, gerne sicherheitshalber dazu, daß das solcherart „bekämpfte“ Argument eben nicht meines ist. Quasi als Serviceleistung für schlampige Leser, denn nicht jeder hat in einem Thread die Muße, die ellenlangen Postings von LePenseur in allen Details zu durchdenken 😀

    Was die Umdefinierung von “Gnade” angeht, kann ich nicht sehen, wie dann die Gnade noch Gnade bleibt

    Das wäre jetzt sicher interessant zu erläutern (gerade weil die Gnadenlehre seit je mein „Spezialgebiet“ ist), nur fürchte ich, daß uns die p.t. Mit-Leser wegen Thread-Verwässerung dann schön langsam mit einem nassen Fetzen erschlagen würden. Wenn Sie darüber diskutieren wollen, sollten wir dafür besser einen eigenen Thread eröffnen.

    Natürlich können Atheisten ethisch handeln, aber dann handeln sie inkonsequent und nicht aus Vernünftgründen sondern aus Sentimentalität oder weil sie sich dennoch vorhandener religiöser Prägung nicht bewußt sind.

    Das hieße im Klartext: „Nur eine religiös motivierte Ethik ist keine Chimäre“. Damit stehen Sie aber im Gegensatz zur gesamten Philosophiegeschichte. Ich gebe zu, daß ich lange Zeit genau der gleichen Ansicht war (mittlerweile allerdings nicht mehr).

    Lesen Sie in diesem Zusammenhang z.B. „Skeptizismus und Moral – Euthyphrons Dilemma“ (auf http://www.dittmar-online.net/vortrag/vortrag.html). Ohne daß ich mir Herrn Dittmars atheistischen Standpunkt zu eigen mache (sicherheitshalber vorausgeschickt), finde ich darin doch eine sehr plausible Argumentation, warum auch eine atheistische Ethik (ich setzte Ethik und Moral hier der Einfachheit halber gleich) möglich und begründbar ist.




  12. LePenseur,

    gut, wenn sie sichergehen wollen, nicht mißverstanden zu werden, dann sei ihnen das unbenommen. Nur war besagte Passage aber gerade nicht „auf eine vorherige Argumentation von (Ihrer) Seits ein Gegenargument …, das eben nicht das logische Konter auf meine Ansichten“.

    Was die Umdefinierung von Gnade angeht, muß ich auf Ihr Wort vertrauen, darauf, was Sie oben erklärt haben. Und darauf bezieht sich meine Aussage, ob Gnade dann noch Gnade ist.

    Mit der Ethik ist das so eine Sache: wenn ich mir sie selbst ausdenke, ändern kann, meinen Interessen anpassen kann, ist sie keine mehr. Weder Kant noch der Utilitarismus konnten gedanklich sauber eine Ethik abseits von Gott aufstellen können: letzter ist gar keine, und der kategorische Imperativ „Handle stets so, daß die Maxime deiner Handlung …“ ist wehrlos gegenüber Fragen wie: „Warum sollte ich?“ oder „Sagt wer?“ Woher sollen wir denn wissen was gut und was böse ist? Und selbst wenn wir es soweit bringen (Kant bringt das ja grade noch), warum sollten wir gut handeln und nicht böse. Oder warum sollte uns das nicht alles egal sein?

    Ich werfe keinem Atheisten vor, wenn er ethisch handelt, nur kann er sich dabei nicht auf die Aufklärung berufen, sondern er handelt aus voraufklärerischen Gründen. Was aber nicht schlimm ist, denn wieso sollten wir der Aufklärung so hohe Autorität beimessen.

  13. Und noch zum Abschluß:

    wenn etwas anderes (Staat, Gesellschaft, politische Korrektheit) and die Stelle Gottes bei der Moralsetzung tritt bzw. gesetzt wird, dann nimmt eben dieses etwas die Stelle Gottes ein. Dies wäre aber nicht nur Götzendienst, sondern leider ist dieses etwas auch wenig verläßlich und beständig: was heute verboten ist, wird dann schon morgen erlaubt sein und umgekehrt. Und auf jeden Fall ist es dann nicht mehr atheistisch.

  14. Was den verlinkten Artikel angeht:

    1. Geht es nicht darum, zu behaupten Atheisten könnten oder würden nicht moralisch handeln, und Christen/Gläubige könnten oder würden stets moralisch handeln. Das dem nicht so ist, beweist schon die eigenen Erfahrung und es gehört zu den Stärken des Christentums eben nicht die Sündlosigkeit der eigenen Gläubigen zu postulieren.

    2. Wenn Atheisten den Buddhismus als atheistisch reklamieren, find dich das immer drollig. Ist und bleibt doch auch der Buddhismus eine Religion (und mancher Atheismus ja auch), ist er doch keineswegs per se atheistisch – Gott/Götter spielen darin nur ursprünglich keine Rolle. Insbesondere geht der Buddhismus ja eben doch von transzendenten „Gesetzen“ aus, die der Mensch eben erkennen soll, um Erleuchtung und Erlösung zu erlangen.

    3. Das Kernstück des Artikels scheint mir „Euthyphrons Dilemma“ zu sein. Das mag ein Problem für Gläubige an einen persönlichen Gott sein, wenn es auch durchaus nicht schwer lösbar ist, sind doch diese Fragen lange diskutiert: allgemeine Offenbarung und Privatoffenbarung, wie weit und wen bindet letztere, widerspricht Gott sich selbst?

    Was der Artikel aber ausblendet ist das Dilemma des atheistischen Kritikers, der dieses Dilemma aufstellt: sicher, ein Atheist wird, sollte Jesus ihm erscheinen und befehlen, seinen Sohn zu töten, diesem antworten: „Warum sollte ich?“, hat doch Christus ihm erstmal nichts zu sagen. Allerdings, hat er darüber hinaus, auch keinen Grund, diese Tat moralisch abzulehnen. Auf wen oder was will er sich den berufen, außer auf seinen eigenen Unwillen?

    Letzlich basiert das Dilemma einzig auf den beiden Extremen, Gott lege Gut und Böse entweder willkürlich fest oder er sei an ein ihm vorausgehendes Gesetz gebunden. Das der alte Nominalismus eine Wilhelm von Ockham wieder aufgekocht. Der Autor meint: „Man muss sich als Christ entscheiden, welche Seite man wählt.“ Nein, muß man eben nicht, darf man noch nicht mal, denn beide Alternativen sind falsch. Gott handelt eben nicht willkürlich, Jesus erscheint nicht mit solchem Ansinnen. Gott ist gut durch und durch und deshalb liebt er auch das Gute und haßt das Böse. Also kommt die Unterscheidung aus seinem Wesen und weder aus Willkür noch von außerhalb.

    4. Dazu kommt in dem Artikel noch die künstliche Unterscheidung zwischen „religiösen“ Gründen und anderen, hygienischen, kulturellen Gründen etc. (Beispiel Totenbestattung), als ob man Religion und Zivilisation trennen könnte. Nur weil sich Hänschen Gottlos das so vorstellt, wird es aber nicht richtig. Religion ist ein fundamentaler Teil jedweder Zivilisation und nur weil religiöse, insbesondere christliche Vorstellungen in der westlichen Zivilisation so tief eingegraben haben, daß sie fortbestehen auch wenn sie nicht mehr bewußt sind, kann er so was meinen.

    5. Das Reden von Lohn und Strafe ist zwar üblich, aber meines Erachtens eine schlechte Formulierung. Würden wir einen Kater als Strafe für übermäßigen Alkoholkonsum ansehen? Oder als natürliche Konsequenz? Insofern straft Gott den Sünder nicht … die „Strafe“ ist die natürliche Konsequenz der Sünde, nämlich Trennung von Gott. Was einem Menschen jetzt noch nichts ausmachen mag, aber dann …

    6. Das Theodizeeproblem tut gar nichts zur Sache.

    7. Das Smith’sche-Hume’sche Gedankengebäude am Ende krankt vor allem an einem: es ist eben nicht logisch zwingend. Die beiden unterstellen ihrem fikitven idealen Menschen (der mir so gar nicht menschlich vorkommt) unbewußt ethische Vorstellungen, die durch Zivilisation und, ja, Religion, geprägt wurden, um sich in der Illusionen zu bestärken, das gänze gelte auch abseits dieser Faktoren. Ganz abgesehen davon, daß ihr Beobachter schon wieder eine Art Gott ist. Da sie diesen Beobachter aber nun als fiktiv ansehen, so ist auch das ganze Gedankengebäude, mithin die ganze Argumentation fiktiv. Aber was will man auch erwarten, von so beschränkten Denkern wie Hume und Smith aus diesem dümmlichsten aller Jahrhunderte.

    Martin, bitte entschuldige diese Zweckentfremdung Deines Blogs.

  15. Oh, keine Ursache. Ich freue mich über die angeregte Debatte, versuche ihr zu folgen und sehe mich aus verschiedenen Gründen derzeit nicht in der Lage, zu ihr etwas beizutragen. Also nur weiter so. 🙂