Wie erklärt sich eigentlich, dass die große Mehrzahl der Katholiken nur sehr punktuell am kirchlichen Leben teilnimmt? Das beginnt schon mit der Taufe. Nicht alle Kinder katholischer Eltern werden getauft, aber doch erheblich mehr als nur die Kinder der regelmäßigen Kirchgänger. Nicht alle katholisch getauften Kinder gehen zur Erstkommunion, aber doch die meisten, auch wenn sie weder vorher noch nachher am Gemeindeleben teilnehmen. Viele von ihnen lassen sich als Jugendliche firmen, obwohl sie seit der Erstkommunion nur selten eine Kirche von innen gesehen haben. Und selbst der Wunsch nach einer kirchlichen Hochzeit, zwar generell rar geworden, führt immer noch Katholiken in die Kirche, die sonst höchstens zu Weihnachten und eventuell noch Ostern dort erscheinen.
Warum tun die das? Meine Vermutung ist, dass es sich hier um ein Phänomen handelt, das im angelsächsischen Raum als Cultural Catholicism beschrieben wird. Der kaum geläufige deutsche Begriff dafür lautet Kulturkatholizismus. Es handelt sich um katholisch getaufte und aufgewachsene Menschen, die ihren Glauben nicht oder nur eingeschränkt praktizieren, die zum Teil auch gar nicht mehr glauben, aber sich weiterhin als katholisch bezeichnen, in Deutschland in der Regel auch Kirchensteuer zahlen und zu verschiedenen Gelegenheiten kirchliche Dienstleistungen wie Taufe, Erstkommunion, Firmung, Hochzeit, Beerdigung oder den feierlichen Gottesdienst zu Weihnachten in Anspruch nehmen. Gemessen an der Differenz zwischen der Zahl regelmäßiger Kirchgänger und der Zahlen der Täuflinge, Erstkommunionkinder und Firmlinge, was selbstverständlich nur ein grobes Indiz sein kann, handelt es sich hier um einen großen Markt.
Mit anderen Worten: Der Kulturkatholizismus ist in Deutschland eigentlich die vorherrschende Strömung innerhalb des Katholizismus. Es handelt sich um den Rest der einstigen Volkskirche. Zu den Kerninhalten des katholischen Glaubens verhält sich der Kulturkatholizismus bestenfalls indifferent, häufig aber offen ablehnend. Anekdotischer Beweis: Es gibt Firmbewerber, die nicht an die Auferstehung Christi glauben. Das sind nicht einmal wenige. Der Kulturkatholizismus dürfte auch innerhalb der kirchlichen Apparate inzwischen die Mehrheit erreicht haben, was für viele Phänomene jedenfalls eine plausible Erklärung ist, die nicht auf bösen Willen rekurriert, sondern auf Unwissenheit und Indifferenz.
Der Kulturkatholizismus hat sich von der ihn umgebenden Mehrheitskultur absorbieren lassen und vom Katholizismus nur den folkloristischen Teil behalten. Wo die katholische Lehre im Konflikt zur Mehrheitskultur steht, da steht der Kulturkatholizismus sicher auf Seiten der Mehrheit. Der Fairness halber muss hinzugefügt werden, dass der Kulturkatholizismus auch unter regelmäßigen Kirchgängern weit verbreitet sein dürfte und umgekehrt auch unter Heiligabendchristen und anderen sporadischen Kirchenbesuchern noch gläubige Christen zu finden sind.
Diese Situation stellt die Kirche vor ein nahezu unlösbares Dilemma. Es ist klar, dass der Kulturkatholizismus mittel- und langfristig keine Zukunft hat, die über den Status folkloristischen Beiwerks zu einem ansonsten gottlosen Leben hinausgehen würde. Zudem überfordert die Anspruchshaltung der Kulturkatholiken schon heute die ausgedünnten und überalterten Kerngemeinden wie auch die hauptamtlichen Apparate. Eine schöne Taufe, Erstkommunion, Firmung, Hochzeit, Beerdigung oder Messe zu Weihnachten ist auf Ressourcen angewiesen, die der kirchensteuerfinanzierte Apparat nicht selbst herstellen kann. Die Qualität des Angebots lässt nach, und damit sinkt auch die Nachfrage. Auf der anderen Seite lässt sich der Riesentanker Kirche hier kaum umsteuern, ohne in schärfste Konflikte mit seinen Kirchensteuer zahlenden Kunden zu geraten.
Es wird schwer werden, dieses Phänomen auch nur offen zu diskutieren. Alle relevanten Kulturkatholiken, die also an entsprechenden Schaltstellen sitzen, werden die Diagnose auf das Schärfste zurückweisen und wie gewohnt ins Wolkige ausweichen, sobald es ans Eingemachte geht. Die gängigen Leerformeln sind seit Jahrzehnten gelernt und bestens bekannt. Im Kern heißt ihre Devise auch nur: Weiter so. Vorwärts immer, rückwärts nimmer. Dabei ist eine Rückwärtsbewegung ohnehin so gut wie ausgeschlossen. Es kann im Grunde nur um einen Neubau gehen. Ob der Kulturkatholizismus vorher erst zusammenbrechen muss oder ob auch schon früher mit dem Neubau begonnen werden kann, bleibt abzuwarten. Ein Umbau, eine echte Re-Formation, wäre nur um den Preis echter Umkehr zu haben.
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Wie die Erneuerung der katholischen Kirche letztendlich kommt und wie sie genau aussieht, ist sowohl weltweit als auch für D erst einmal irrelevant. Fest steht, dass sie im Geist der Hermeneutik der Kontinuität stattfindet, also mit und nicht gegen dem Magisterium *auf allen Ebenen*.
Die Kirche, d.h. vor allem die alteingesessenen Pfarrgemeinderäte, muss proaktiv um Kinder und Jugendliche werben. Ein authentischer Aufbruch im Sinne der Tradition ist unverzichtbar. Neue Pfarrer bekommt man nicht damit, indem man Mädchen und Jungen gleichmacht, sondern ihnen Angebote bietet (Angebote für beiderlei Geschlecht), die spezifisch sind.
Auf der anderen Seite muss vor allem die katholische Kirche in Deutschland echter und unkompromissloser werden. Zu oft wurde dem Mainstream zugenickt. Es wird Zeit, eine kurze/schmerzhafte/auch ekelhafte Periode durchzugehen, die uns Irritationen und Anfeindungen angetan wird. Natürlich nur, damit wir wieder voll im Einklang mit der Lehre sind. Aber auch darum, dass wir wieder eine authentische und aufrechte Kirche sind.
ich bin Ihrer Meinung, nur ein entschiedener Neuaufbau bzw. Rückbau kann den Kern retten. Ich halte es mit Chesterton, der mal schrieb
dass “ die katholische Kirche die einzige Sache ist, die uns Menschen die ernierdigende Sklaberei erspart, Kind unsere Zeit zu sein.“ Kurz: Ich halte die Orthodoxie für das einzige Mittel, das unsere Kirche vom Kurs in die völlige Bedeutungslosigkeit abbringen kann – ein Kurs, den weder unser Pontifex maximus noch das deutsche Episkopat zu ändern bereit sind
Das ist natürlich alles äußerst wohlwollend geschrieben, die Realität dürfte nicht ganz so hoffnungsvoll für die Kirche aussehen.
Viele lassen ihre Kinder doch nur noch taufen, weil sie sonst Nachteile für Ihre Kinder befürchten, oder weil sie es tun müssen, um nicht Gefahr zu laufen, ihren Job zu verlieren.
Die Erstkommunion lässt man über sich ergehen, „der Oma zu liebe“, oder weil „was würden denn die Nachbarn sagen“ etc. und natürlich wegen der Geschenke … Bei der Firmung geht es ohnehin nur noch um diese … Und den Druck aus der Familie (Firmung findet ja nicht umsonst meist vor der Religionsmündigkeit statt …)
Kurz könnte man sagen: seid froh, dass es die automatische Kirchenmitgliedschaft per Säuglingstaufe gibt, ohne würde es mit den Mitgliederzahlen der Kirche recht düster aussehen. Oder glaubt wirklich jemand, dass die „Kulturchristen“ (richtig wäre der Ausdruck „Taufscheinchristen“) auch Kirchenmitglieder wären, wenn man nach erreichen der Religionsmündigkeit aktiv seinen Beitritt erklären müsste ?
Wider den Anschein wage ich zu behaupten, man kann dagegen etwas tun. Zweierlei, beides gleich wichtig: katholisch sein und beten.
Katholisch sein, also den Dreieinen Gott und Seine Kirche lieben und ehren, und ja: beten.
Und einfach mal vertrauen auf Jesu Wort: „Wo zwei oder drei [echt jetzt! Nicht zwei- oder dreitausend, sondern zwei oder drei!] in Meinem Namen versammelt sind, da bin Ich mitten unter ihnen.“
Und: „Die Pforten der Hölle werden die Kirche nicht überwältigen.“
Die Zeiten sind hart (übrigens waren sie noch nie anders als hart), die Kirche ist in einem schlechten Zustand, aber sie ist die Braut Christi, der mystische Leib Christi. Verletzt und geschändet, aber unzerstörbar.
Nun wenn man der Mühe der Mutter Gottes und ihren vielen Erscheinungen und Mahnungen und Warnungen glaubt, kann es und wird es nur noch Gott regeln und wie immer auf schmerzhafte Weise.
„Die Kirche ist zu einer humanistischen Einheitsgesellschaft der Nettigkeit
mutiert. Die Botschaft Gottes und der Wille Gottes wird in der öffentlichen
Diskussion ausgeblendet: Die zehn Gebote, Sünde und Gericht wurden abgeschafft und dem Relativismus der Unverbindlichkeit geopfert. Der Tod
und das Leben danach wird tabuisiert, obwohl das Leben danach laut Evangelium das eigentliche Ziel, das „Leben in Fülle“, ist!
Trotzdem besteht die Zusage Gottes: „Die Pforten der Hölle werden die Kirche am Ende nicht überwältigen!“ Aber die Zeit dazwischen könnte für
viele zur „Hölle auf Erden“ werden, wenn die Kirche nicht zur Wahrheit des Evangeliums zurückfindet! Das lehren uns die Erfahrungen und das Ende des
„tausendjährigen Reiches“ und so steht es in der Apokalypse des Evangelisten
Johannes.
Auch wenn ich kein Apokalyptiker bin: Die Bibel sagt leider, dass am Ende der Zeit der Unglaube und die Bedrängnisse überhand nehmen. Was aber sicher nicht heisst, die Hände in den Schoss zu legen.
Nein, ich kann diesem Artikel nicht zustimmen.
Macht den „stinknormalen“ Katholiken nicht kleiner, als er ist: Was weiß ich denn, was weißt du denn von seinem Glauben, seiner Hoffnung, seiner Liebe?
Wer weiß, aus welchen Gründen er in der Messe nicht seine Religion findet und fern bleibt?
Wer weiß, warum er Angst hat, sich „katholisch“ zu bekennen?
Wer hat ihm von Glück des Glaubens erzählt? Wer macht sich die Mühe, ihn ernst zu nehmen, und wer will von ihm hören?
Wo ist die Kirche, die an den Pforten der Hölle auf die Menschen acht gibt?
Wir sind viele, und wir sollten nicht uns nach der Apokalypse sehnen.
Kulturkatholiken setzen sich aus der ehemals kirchlich sozialisierten 68iger Generation und und ihren Kinder zusammen. Typisch ist ihnen: Ausbildung an einer katholischen Schule, Studium (teilweise Theologie), Karriere in Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung. Sie sind stark vertreten unter Medienschaffenden, Publizisten, Schriftstellern, Kulturschaffenden, Politikern.
Ihr Verhältnis zur katholischen Kirche ist gespannt bzw. belastet und ihre Lebensform ist zumeist kirchlich nonkonform. Geprägt durch das katholische Elternhaus und durch die Ausbildung an einer katholischen Schule, emanzipiert und distanziert man sich von der Institution, Glaubensinhalten und Repräsentanten. Oft sentimental ist ihr Bezug zu Ritualen, Ästhetik und Kulturleistungen (Musik, Schule, Baukunst, Sozialarbeit). Östliche Religionen werden werden hoch geschätzt.
Der Katholizismus kann bei ihnen noch Teil ihrer Kultur sein, oder wenigstens attestiert man der Kirche in gewissen Sektoren des sittlichen Lebens Einfluss und Mitsprache: Fragen der Ökumene, der Ethik in Politik und Gesellschaft (Soziallehre), Ökologie und im kulturellen Leben (Kirchenmusik, bildende Künste, Literatur). In diesen Fragen wehren sich aber Kulturkatholiken gegen einen verbindlichen, konfesionell-kirchlichen Deutungsanspruch.
Abgelehnt wird jede Form von Hierarchie, und jede Form von Verpflichtung steht unter dem Verdacht der Unfreiheit. Kulturkatholiken lehnen Konfessionelles ab.
Sie sind im gesellschaftlichen Leben tonangebend. Auf die Wisssenschaft wird rekurriert, wenn es um Kultur- und Religionskritik geht. Der Kulturkatholizismus ist innerhalb kirchlichen Gruppierungen stark verbreitet. Viele kirchliche Repräsentanten zeigen in den Medien kulturkatholische Tendenz, weil sie Angst haben, man würde sie nicht mehr nach ihrer Meinung fragen, wenn sie sich weniger geschmeidig zeigen würden.