E. J. Pace, The Descent of the Modernists, 1922
Tarzisius von sensuum defectui hat jetzt die obige Karikatur ausgegraben, was mich daran erinnert, dass ich schon länger meinen Senf zu diesem Thema abgeben wollte.
Mitte der 90er Jahre war ich fast Agnostiker. Ich lebte damals in Berlin und hatte den Kontakt zur einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche so gut wie verloren. Wenn ich heute überlege, wo wohl der Wendepunkt lag, der mich Jahre später zurück zum Glauben führte, dann fällt mir ein Buch von Jürgen Habermas ein: Der philosophische Diskurs der Moderne: Zwölf Vorlesungen. Dieses Buch hinterließ bei mir einen schalen Nachgeschmack. Konnte das wirklich alles sein?
Letztlich war es übrigens die Osternacht, die mich auch in den glaubensfernsten Jahren meines Lebens immer fasziniert hat, die ich auch nur in wenigen Jahren verpasst und einmal sogar in einer protestantischen Variante gefeiert habe, aber das ist eine andere Geschichte. Habermas stellte mich vor die Alternative, ob ich all die Manifestationen des Glaubens – die Martyrer, die Heiligen, die Milliarden von Christen, die Liturgie (Osternacht!), die Musik, die Kathedralen – als Folgen einer großen Illusion verwerfen und mein Herz statt an Gott an die moderne Weltanschauung, kurz: die Moderne hängen sollte.
Beides erschien mir unmöglich, aber damit war der Glaube zwar nicht ad acta gelegt, doch auch noch lange nicht wiedergewonnen. Denn nun ging es für lange Zeit darum, den Glauben mit der Moderne zu vereinbaren. Dieser gescheiterte Versuch trägt den historischen Namen Modernismus. fortes-fide hat vor einiger Zeit den Antimodernisteneid herausgekramt, den von 1910 bis 1967 jeder Kleriker ablegen musste. Dessen Grundfrage ist, ob Glauben und Moderne konfliktfrei miteinander vereinbar sind oder nicht. Und falls nicht, ob im Konfliktfall dem Glauben oder der Moderne der Vorrang gebührt. Der Modernisteneid ist in dieser Frage eindeutig.
In der Praxis geben indes die meisten (nominellen) Christen, die ich kenne, wie auch ich früher, im Konfliktfall der Moderne den Vorrang. Insofern hat der Modernismus gesiegt. Der Glaube wird auf eine Privatsache reduziert, seine Auswirkungen auf das übrige Leben in Familie, Beruf und Freizeit minimiert. Weiter noch: Auch Glaubenssätze, die der Moderne widersprechen, werden aufgegeben oder so interpretiert, dass kein Widerspruch mehr auftritt.
Eine Spielart des Modernismus ist der (ontologische) Naturalismus. Er besagt im Grunde, dass es nichts gibt und geben kann außer der Natur, die nicht als Schöpfung begriffen wird, da dies einen nicht zur Natur gehörigen Schöpfer voraussetzen würde. Der Naturalismus setzt voraus, dass alle Phänomene eine natürliche, mit den Methoden der Naturwissenschaft erklärbare Ursache haben. Demnach kann es keine Wunder geben, die Wunderberichte der Bibel beruhen für den Naturalisten auf Täuschung und Irrtum.
Doch damit ist, die Karikatur zeigt es deutlich, noch nicht der Tiefpunkt erreicht. Es wäre interessant zu wissen, warum der Antimodernisteneid abgeschafft wurde.
„Denn nun ging es für lange Zeit darum, den Glauben mit der Moderne zu vereinbaren. Dieser gescheiterte Versuch trägt den historischen Namen Modernismus.“
Das kann man so sehen, oder auch so: die Frage ist, wie sich der Glauben bzw. der Gläubige in seiner jeweiligen Moderne (die Früheren dürften ja ihre Zeit auch als modern betrachtet haben) verhält: stellt sich der Glauben selbstbewußt in der Moderne auf und wirkt auf diese ein, kreiert mithin sein eigene Version von dem, was modern ist (was noch nicht heißt, daß sich das durchsetzt, aber es ist der Versuch) oder gibt er furchtsam all den vermeintlichen Forderungen der Moderne nach (vermeintlich, weil diese ja oftmals alte Hüte bestenfalls neu kombiniert sind).
Letzteres ist der Modernismus und genau diese Furchtsamkeit ist das Problem, die Voraussetzung des oben karrikierten Abstiegs – das Fodern und das Nachgeben wird ja nie zum Ende kommen, der Glauben aber irgendwann aufgebraucht sein.
Der Antimodernisteneid wurde abgeschafft, weil man etwas naiv-optimistisch meinte, daß die Frontstellung und Abwehr nicht die beste Strategie sei, daß man nun neu offensiv auf die Welt zugehen solle (im Geist von Gaudium et spes). Die Welt erschien ja sich zum besseren zu wenden (zumindest im Westen), die Kirche sah sich nicht mehr belagert. Dieser Strategiewechsel war nicht falsch, aber doch etwas naiv, wie sich schon bald zeigte.
Andererseits muß man selbstkritisch einwenden, daß der Antimodernisteneid ja nur sehr bedingt seinen Zweck erfüllte. Ein Mann wie Küng hat ihn immerhin mehrere Male geschworen. Das sagt m.E. einiges über seinen Charakter als auch über die Wirksamkeit des Eides aus.