Christian Geyer in der FAZ zum Schluss einer religionssoziologischen Umschau:
Im Kräftefeld rivalisierender Heilsanstalten mag dem Katholizismus, wie kulturprotestantische Analyse vermutet, sein ikonographisches Potential zugute kommen. Aber schöne Papstbilder machen noch keine Kirchen voll, wenn man die entsprechenden Statistiken zur Kenntnis nimmt.
Ohnehin schien sich der Katholizismus selbst um ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal gebracht zu haben, als er die Kategorie des Seelenheils, die auch der gemäßigte Islam für vordringlich erklärt, systematisch in den Hintergrund treten ließ, ja ausrangierte. Wir kommen alle in den Himmel – das ist die populäre Version der Heilsgewißheit, die Wortführer des Katholizismus in der Annahme vertraten, ihre Kirche könne im Handumdrehen eine Religion für alle werden – für Andersgläubige ebenso wie für Ungläubige.
Doch schien die Vereinnahmungsstrategie nicht aufgehen zu wollen: Die Heiden wollten lieber Heiden bleiben, denn in der vatikanischen Statistik als anonyme Christen geführt zu werden. Und die Christen selbst, entlastet vom Druck des Seelenheils, rückten in die Rolle der eifrigen Religionsmoderatoren, die den einen Gott für alle propagierten, auf welchem Wege auch immer man ihm folge: auf christlichem, islamischem oder atheistischem.
Doch mit dieser harmonischen Formel wurde das Christentum keine Religion für alle, sondern blieb statistisch eine Religion für viele und eigentlich für immer weniger. Jetzt zieht die katholische Kirche die Konsequenz und will ihre Meßbücher ändern. Dort soll es in den Landessprachen bald nicht länger heißen, daß Christus „für alle“ gestorben sei, sondern – getreu der lateinischen Vorlage – nur noch „für viele“.
Das Seelenheil dürfe man sich nicht als eine mechanistische Angelegenheit vorstellen, heißt es zur Begründung. Was Christus allen verdient habe, müsse gleichwohl einzeln gewollt werden. So begegnet man dem geschäftsschädigenden Image, im Vergleich zu anderen Religionen eine harmlose Religion zu sein und noch dem Atheismus zuzublinzeln. Der Katholizismus ist, wie es scheint, nicht so ungefährlich, wie er oft tut. Ihm geht es wieder um etwas.