Die Kunstfreiheit ist nahezu grenzenlos. Nahezu. Die Väter des Grundgesetzes machten eine Ausnahme: Die Kunstfreiheit hat dort ihre Grenzen, wo das religiöse Gefühl in einer Weile verletzt wird, dass es den „inneren Frieden“ gefährdet.
Jede Gesellschaft, jede Familie, jeder Mensch hat einen innersten Bezirk, einen Glaubenskern, der geachtet und geschützt werden muss. Gesellschaften, die ihn verloren haben, sind debil. Nun gibt es viele Anzeichen dafür, dass sich unsere Talkshow- und Plappergesellschaft, die fortwährend ihr Innerstes nach außen stülpt und alles trivialisiert, was sie berührt, durchaus debile Züge hat.
Dennoch besteht der Blasphemie-Paragraph in modifizierter Form fort. Und durch den Idomeneo-Streit werden wir erneut an ihn erinnnert. Wir werden daran erinnert, dass es Menschen gibt, denen etwas heilig ist.
Naja, Herr Matussek hat zwar Recht, doch sollte man akkurat bleiben:
* Das Grundgesetz sagt: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehr entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“ (Artikel 5, Abs. 3)
Was aber natürlich nicht heißt, daß es keine Schranken gibt. Dafür sind Gesetze da und die wiederum sehen das vor, was MM beschreibt. Zur Zeit, denn sie könnten in beide Richtungen geändert werden.
Es gibt sicherlich aber keine Grundlage für so dümmliche Aussagen wie „Kunst darf alles!“ Und wer legt dann fest, was Kunst ist? Oder darf dann am Ende jeder alles?
Achja, der Vollständigkeit halber sollte man vielleicht noch den vorhergehenden Abschnitt lesen. Nach dem von der Freiheit der Meinugsäußerung, der Informationsfreiheit und der (so oft argumentativ mißbrauchten) Pressefreiheit die Rede war, heißt es dort:
„Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetzte, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“
Und ein letztes: Was ist eigentlich so schlimm an „Selbstzensur“ (wobei hier das Wort Zensur auch mißbraucht wird). Ich übe Selbstzensur tausend mal am Tag und täte ich es nicht, wäre ich ein ziemlich unangenehmer Zeitgenosse.
@Str:
… und der (so oft argumentativ mißbrauchten) Pressefreiheit die Rede war …
Mich will bedünken, daß die Pressefreiheit weniger oft „argumentativ mißbraucht“ wird, als sie weltweit höchst unargumentativ (außer mit „schlagenden“ Argumenten) mit Füßen getreten wird. Sicher freut es mich nicht, wenn über ein mir wichtiges Ereignis oder eine Person, die mir teuer ist, abfällig berichtet wird. Aber ich akzeptiere das zähneknirschend als (leider) kleineres Übel gegenüber einer (statlichen? religiösen?) Stelle, die mir vorschreibt, was wie berichtenswert ist. Daß medienintern die vielzitierte Pressefreiheit meist nur in eine Richtung zu funktionieren scheint (to put it mildly), ist nämlich nicht ein Problem der Pressefreiheit, sondern eines der Ignoranz, Lahmarschigkeit und Mutlosigkeit der konservativen Seite (in Europa — in den USA sieht’s diesbezüglich ganz anders aus!), und wie es ein Bekannter mit Blick auf rückgratlos agierende Konservative so treffend auf den Punkt brachte: „Wenn sie nicht selber welche haben, kann ich ihnen auch keine Eier kaufen!“
Was ist eigentlich so schlimm an “Selbstzensur” (wobei hier das Wort Zensur auch mißbraucht wird). Ich übe Selbstzensur tausend mal am Tag und täte ich es nicht, wäre ich ein ziemlich unangenehmer Zeitgenosse
Es ist Ihnen aber schon bewußt, daß es einen Unterschied macht, ob „ich mir etwas verkneife“, weil es mir selbst peinlich wäre, etwas unverblümt und taktlos zu sagen, letztlich also aus Gründen der Selbstachtung, oder ob ich mich in vorauseilendem Gehorsam gezwungen sehe, mir etwas zu verkneifen, weil ich die soziale Ächtung und Ausgrenzung nicht unbeschadet überstehen würde. Das eine ist Taktgefühl, das andere Gesinnungsterror.
…ob “ich mir etwas verkneife”, weil es mir selbst peinlich wäre…
Tja, schade nur, dass viel zu vielen Leuten viel zu wenig peinlich ist…
Lieber Denker,
bitte jetzt nicht wieder einen Mammutthread draus machen.
1. Welchen Strohmann wollen Sie eigentlich schlagen, wenn Sie auf Verletzungen der Pressefreiheit hinweisen. Wer sollte Ihnen da widersprechen?
Nur würde ich mir durchaus wünschen, einige unserer Herren Journalisten würden das mal miterleben. Dann würden sie vielleicht nicht, Urteil zur Privatssphäre auch von Prominenten nicht als Eingriff in die Pressefreiheit betrachten. Oder von ihren hohen Ross herabsteigen, auf dem sie als alzuständige Letztbestimmende sitzen.
Pressefreiheit heißt nämlich nur, daß man ungehindert von staatlicher Seite das drucken darf, was man will (d.h. wenn man eine Druckerpresse hat) … nicht daß man dafür nicht verantwortlich ist. Und nicht daß die Presse von allem frei ist. So ist es kein Verstoß gegen die Pressefreiheit, wenn eine Journalistin im Irak entführt wird (sondern ein ganz normales Verbrechen), kein Verstoß, wenn die Polizei eine Redaktion durchsucht, kein Verstoß, wenn jemand kein Interview kriegt oder wo nicht mitfahren darf. Mir fallen jetzt leider keine weiteren Beispiele mehr ein, aber es ist schon krass was manche Journalisten so von sich geben.
2. „Es ist Ihnen aber schon bewußt, daß es einen Unterschied macht …“
Mir ist das wohl bewußt, obwohl das schwer abzugrenzen ist … was ist den Takt und was vorauseilender Gehorsam? Nur den beruflichen Verteidigern der Kunstfreiheit ist das nicht bewußt. Die sagen, Kunst darf alles und jetzt müssen wir alle die Oper sehen (Mozart hin, Mozart her, es scheint mir keine sehr intelligente zu sein … aber so war nunmal das 18. Jarhundert), nun müssen wir alle die Karrikaturen nachdrucken auch wenn wir nicht mit ihnen übereinstimmen (was gelinde gesagt, eine Aussage von kaum noch zu überbietender Dümmlichkeit ist). Das ist übrigens auch Gesinnungsterror.
Wie schon im Karrikaturenstreit gilt hier:
„Die Pest auf Eurer beider Häuser!“
Ich muß das zurückziehen, was ich über die Oper gesagt habe. Ich war der Meinung, Neuenfels‘ Regieeinfall sei schon im Originallibretto enthalten.
@Str:
bitte jetzt nicht wieder einen Mammutthread draus machen.
I, wo! Ich doch nicht 😀
Pressefreiheit heißt nämlich nur, daß man ungehindert von staatlicher Seite das drucken darf, was man will (d.h. wenn man eine Druckerpresse hat) … nicht daß man dafür nicht verantwortlich ist.
Da kann ich grosso modo zustimmen.
… kein Verstoß, wenn die Polizei eine Redaktion durchsucht …
Da freilich schon weniger, denn sonst haben wir bald Pressefreiheit à la Putin …
Ich glaube, daß das Problem durch die Frage auf den Punkt gebracht wird, wem die „Deutungshoheit“ zusteht, ob (und wie gravierend) etwas einer Gruppe „Heiliges“ verletzt wird. Wenn man das mehr oder weniger durch die betreffende Gruppe enscheiden läßt, dann haben wir m.E. ein Problem in der Rechtsstaatlichkeit. Überläßt man diese „Deutungshoheit“ jedoch bewußt (säkularen) staatlichen Instanzen, dann haben die betroffenen Gruppen möglicherweise ein Problem. Es wird Sie vermutlich nicht überraschen, daß ich im Konfliktfall Lösung zwei bevorzugen würde …
„… kein Verstoß, wenn die Polizei eine Redaktion durchsucht …
Da freilich schon weniger, denn sonst haben wir bald Pressefreiheit à la Putin …“
Genau da liegt das Problem. Stehen Redaktion jetzt außerhalb des Gesetzes? Oder sind sie exterritorial?
Natürlich kann die Exekutive auch falsch handeln und dafür haben wir Verwaltungsgerichte. Und bei denen besteht sogar Aussicht auf Erfolg (im Gegensatz zu Putin’s Rußland.) Schließlich sind wir ein Rechtsstaat.
Die Deutungshoheit, was als Heilig zu gelten hat, liegt bei jedem selbst.
Was der Staat schützt, das entscheidet er letzlich selber, per Gesetz und Gericht.
Zum Abschluß könnte man von erwachsenen Menschen erwarten, generell mit Respekt für andere zu handeln. Daß das bei Neuenfels & Co. wohl nicht klappt, ist eine andere Frage und zwar keine juristische.