An der Blogozese ist der jüngste Spiegel-Titel [1 EUR] bislang spurlos vorbeigegangen. Dabei ist „Mythos Mittelalter“ wirklich gruselig. Ein Zerrbild vom Feinsten. Auszüge:
Roh tritt uns der Homo sapiens jener Zeit entgegen. Fühlte er sich überhaupt schon als Individuum im heutigen Sinne? Spiegel besaß damals kaum jemand. Kein Maler war in der Lage, ein wirklichkeitsgetreues Porträt zu entwerfen. Und wo heute alle „ich“ schreien, ertönte das Lob auf den Christengott. Es ist der Herr und barmherzige himmlische Vater, der aus jeder Pore des auf Totalität gerichteten mittelalterlichen Glaubens atmete. Buße und Sühne bestimmten den Alltag. Ständig wurde gekniet, gebeichtet, gesühnt.
Nur wer ohne Todsünde sei, so lehrten die Dogmen der Kirche, werde dereinst am Tag des Jüngsten Gerichts aus den Gräbern auferstehen zum ewigen Heil. Der Rest müsse in der Verdammnis schmoren.
Voller Aberglaube und Angstgespinste steckten die Seelen der Vorfahren. Ihr Innenleben glich den Bildern von Hieronymus Bosch, gefüllt mit Fratzen, Dämonen und dem „Höllenfürsten“ Satan.
Gleichwohl erschufen die Menschen ihrem so ungnädigen Herrn geradezu tollkühne Gotteshäuser. Bauten mit Streben, Rosetten und schlanken Steinpfeilern wuchsen in der Gotik wie gegen das Naturgesetz in den Himmel. Köln, Straßburg, Ulm – vieles war so herrlich angelegt, dass es nie richtig fertig wurde.
Heute indes sind die alten Fetische des Glaubens längst verstaubt. Der Mantel Christi hängt in Trier, seine Dornenkrone in Paris – es sind Touristenattraktionen. Und die Kirchen sind leer.
Zurück bleibt die Suche nach Substanz, nach Lebenssinn und wahrer Existenz. „Unser Leben ist ein Geschäft, das damalige war ein Dasein“, klagte bereits vor hundert Jahren der Historiker Jacob Burckhardt. Der Philosoph Georg Lukács erklärte die Bewohner der Neuzeit zu Bettlern, sie seien geistig „obdachlos“.
Frischgestrickte Neokonservative lassen sich von der Sittenstrenge des Mittelalters gern begeistern. Könnte die CDU, so ihre Forderung, nicht wieder ein bisschen mehr auf Werte achten? Etwas mehr Hosianna, Zukunftsglaube und Kindersegen statt der verlotterten Spaßkultur? Auch der Schriftsteller Botho Strauß verriet sich als Anhänger des frommen Vorgestern. „Ohne Transzendenz“, sorgt er sich, „gibt es keine Moral.“
Doch im Ernst: Die Posaune Gottes, sie schallt nicht mehr. Der Schöpfer ist tot und eine Verklärung der Epoche nicht angebracht. Unter Androhung der Hölle betrieb die Kirche die Disziplinierung der Massen. Wer widersprach, bekam schnell heiße Füße. […]
Eingelullt wurde das Volk dabei von Kirchenglocken. Überall erscholl das Hosianna, Mönche liefen umher.
Es sind die unbeweibten Diener des Stuhls Petri, die etwa um das Jahr 1000 zu Hochform aufliefen. In Deutschland erfolgte eine erste Welle von Klostergründungen.
Harte Arbeit scheuten aber auch die Mönche nicht. Mit Hacken und Beilen zogen die Männer, die seit der Reform von Cluny im Jahr 910 Kapuzen und schlichte Kutten trugen, in die Wildnis und machten das Land urbar. Auf dem Gebiet des heutigen Deutschland lebten unter vier Millionen Einwohner.
„Müßiggang ist der Feind der Seele“ lautet eine Ordensregel der Benediktiner. Steineschleppen und Waldroden galt ihnen als Akt der Nächstenliebe. Um 4.15 Uhr hielten sie das erste Morgengebet („Matutin“). Dann begann das Tagwerk. Der Begriff „mühselig“ – der Klerus hat ihn erfunden.
Besonders geschickt waren die Zisterzienser. Sie verstanden sich auf Wasserkraft, betrieben Getreidemühlen und Erzminen. Im Kloster Altzella, einer Ruine in Sachsen, leiteten die Brüder einen Fluss um und betrieben so die schweren Holzkeulen ihrer Walkmaschinen, wie eine neue Grabung beweist.
Freitags aßen die frommen Griesgrame Fisch, ansonsten zogen sie Bohnen und Kräuter. Und sie betrieben Seelsorge und Krankenpflege.
An sozialen Veränderungen war aber auch der Klerus nicht interessiert. „Ordnung ist die Verteilung gleicher und ungleicher Dinge“, heißt es bei Franz von Assisi. Selbst dem Bettler war „im Hause Gottes“ sein natürlicher Platz zugewiesen. Die Neidkultur war noch nicht erfunden. […]
Es ist der vielgescholtene Klerus, der mit seinem Begriff der menschlichen „Würde“ und der Einzigartigkeit des Individuums vor Gott die Rohheiten des Heidentums zumindest gedanklich aufsprengte.
Unterm Kreuz Christi entstand ein völlig neues, auf Affektstau und Veredelung zielendes Menschenbild. Die Kirche untersagte nicht nur schrittweise das Schmatzen und Furzen, sondern zwang auch zur Einübung von Fleiß, Ordnung, Sauberkeit – alles zivilisationserhaltende Eigenschaften, die womöglich den Totalkollaps verhinderten.
Vor allem ging es den Popen dabei um die Fesselung des Eros. „Geschaffen ist der Mensch aus ekelerregendem Samen“, hämmerte Papst Innozenz III. um 1200 seinen Mitmenschen ein, „empfangen ist er in der Geilheit des Fleisches, in der Glut der Wollust.“
Moderne Romanautoren blenden solche Texte aus. Sie verwandeln das finstere Jahrtausend gern in ein Boudoir ungezügelter Lüste, gefüllt mit deftigem Sex und schweinischen Mönchen.
Genussvoll beschreibt Iny Lorentz in ihrem Bestseller „Die Wanderhure“ (über 500 000-mal verkauft), wie Dirnen rohen Landsknechten am Gemächt fingern. Und Ken Follett lässt in den „Säulen der Erde“ die Jungfernhäutchen reißen.
Doch in Wahrheit stöhnte das Mittelalter im Würgegriff schwarzberockter Spaßbremsen, die dem großen Mitraträger im Vatikan gehorchten. Und der konnte Sex nicht leiden.
Auch der Ort, an dem die große Anti-Lust-Kampagne ersonnen wurde, lässt sich benennen. Es war der Monte Cassino, eine windige Anhöhe zwischen Rom und Neapel, auf der im 6. Jahrhundert ein hagerer Abt lebte, geboren in Umbrien, umgeben von Schülern. Gemeint ist Benedikt (480 bis 547), der Begründer des abendländischen Mönchtums.
Hochmut, Völlerei, Lachen – all das verabscheute der Gottesmann, mehr noch die „böse Begierde“. Benedikt war überzeugt: „Der Tod steht an der Schwelle der Lust.“
Am liebsten nahm er die Bibel zur Hand und blätterte beim Apostel Paulus. Bereits dieses „Genie im Hass“, wie Friedrich Nietzsche ihn nannte, hatte den Leib zum Sitz der Sünde erklärt. Im Körper sei überhaupt nichts Gutes, der Christ müsse ihn „martern und knechten“.
Diese Idee trieb bald böse Blüten. Mönche quetschten sich zur Bewahrung der Keuschheit Ringe um den Penis. Andere banden sich Gewichte ans Glied. Kirchenvater Origenes soll sich selbst entmannt haben, ob mit Schwert oder glühendem Eisen, ist nicht überliefert.
Genüsslich hat der Kirchenkritiker Karlheinz Deschner mehrere Bücher mit der Schilderung klerikalen Selbsthasses gefüllt.
Mönche aßen Gras, sie tobten, standen Kopf, quälten sich mit Schlafentzug oder hungerten bis zum Delirium. Manche Eremiten redeten nur sonntags, manche gar nicht. „Der Geist des Herrn jedoch will, dass das Fleisch abgetötet und verachtet, gering geschätzt und schimpflich behandelt werde“, so Franz von Assisi.
„Mitunter kam es zu förmlichen Kasteiungswettkämpfen“, lästert Deschner. „Jede Seite suchte Rekorde aufzustellen und zu brechen, wollte die längsten Faster, die besten Beter und Kniebeuger haben, die beständigsten Schweiger und Tränenvergießer.“
Den Weltrekord im Stehen errang der Mönch Symeon aus Syrien. Der „Säulenheilige“ stand über 30 Jahre bei Wind und Wetter auf einer Kolumne, machte Kniebeugen und schlief dort auch.
Solche Qual-Demos taten dem Zulauf der Klöster keinen Abbruch. Mit der Gotik setzte um 1200 die große Zeit der Mönchsorden ein. In schneller Folge gründeten sich neue Konvente. Ihre Chefs gingen mit gutem Askesebeispiel voran:
* Franz von Assisi, Gründer des Franziskaner-Ordens, ließ seinen Körper verkommen;
* Dominikus, Stifter der Dominikaner, peitschte sich bis zur Bewusstlosigkeit;
* Bernhard von Clairvaux, Führer der Zisterzienser, stank vor lauter Fasten „der Odem so übel, dass niemand um ihn bleiben mochte“, wie Luther berichtet.
Klar, Luther war ja auch dabei…
Ja schauderhaft, vor allem im Vergleich mit dem „Als die Erde eine Scheibe wurde“ Artikel auf Spiegel-Online.
Jeder hat halt seine Meinung. Was aber zu weit geht, ist diese Egozentrik des Spiegels. Als ob sich der Stand der Zivilisation daran mäße, ob man im Mittelalter schon jeden Montag den Spiegel las ;-).
@fra:
Genau das habe ich mir auch gedacht… 😉
Irgendwie macht der Artikel auf mich den Eindruck, als hätte sich der Autor beim Schreiben genüßlich in jeder einzelnen Abfälligkeit, die ihm in den Sinn kam, gesuhlt…
hab den Artikel von einem „Möchte-Gern Atheist- Sein-weil Die-Böse-Kirche Mich-Nicht- Schwul- Sein- Läßt“- Kollegen in der Arbeit bekommen und ihn mit Kopfschütteln gelesen; so viel Schrott auf einem Haufen- wozu im Blog aufgreifen???? Melius est tacere quam loqui ( Regula Benedicti) ah ja, hab vergessen Benedikt von Nursia ist ja lt disesm Artikel einer dr Urväter dieser ganz schrecklichen Horrrorgestalten aus dem Mittelalter;_))