in Catholica

Roger Kusch

Der Hamburger Justizsenator bezeichnet sich als „bekennendes Mitglied der Nordelbischen Kirche“. In einem am Dienstag im Hamburger Abendblatt erschienen Meinungsbeitrag griff Roger Kusch die evangelische Bischöfin Maria Jepsen scharf an. Er kritisierte einige ihrer Aussagen in einem Interview zum Hospiz- und Palliativ-Care-Tag:

ABENDBLATT: Haben Sie Verständnis für Menschen, die sich für einen „assistierten Freitod“ entscheiden, weil sie glauben, ihre Würde nicht mehr erhalten zu können?

JEPSEN: Ohne es gutzuheißen: Ich habe Respekt vor jedem Menschen und vor seiner Freiheit. Aber wenn ein Mensch gar keinen Halt, gar keine Hoffnung mehr hat, wenn er meint, es nicht ertragen zu können, so schwach zu sein, dann markiert diese Situation auch ein Scheitern der Gesellschaft und ihrer Menschlichkeit. Denn es ist offenbar nicht gelungen, einen kranken Menschen so zu begleiten, daß er Mut und Hoffnung durch die Nähe anderer Menschen erfährt und seinen Weg zu Ende gehen kann.

Kusch dazu:

Mein Verständnis von Würde ist ein anderes: Sterben kommt nicht nach dem Leben, sondern ist Teil des Lebens. Eine humane Gesellschaft hat die Pflicht, jedem einzelnen ihrer Mitglieder ein Leben in Würde zu ermöglichen. Ist nun wegen einer unheilbaren Krankheit ein Weiterleben in Würde nicht mehr möglich, dann verdient der ernsthafte Wunsch des Betroffenen, nicht mehr weiterleben zu wollen, vollen Respekt. Und in Einzelfällen kann dieser Respekt gebieten, den Leidenden zu erlösen. Verantwortungsvolle, mitfühlende Sterbehilfe ist für mich kein Verstoß gegen humane Grundwerte, sondern ein Gebot christlicher Nächstenliebe.

Tötung auf Verlangen also nicht nur straffrei oder erlaubt, sondern gar als Gebot christlicher Nächstenliebe? Das ist mehr als eine Akzentverschiebung und löste dementsprechend eine „hitzige Debatte“ (Die Welt) aus. Jepsen hatte im Interview klar formuliert:

Als Kirche vertreten wir die Auffassung, daß man sich nicht das Leben nehmen darf. Das wäre gegen Gottes Willen. Ich kann und will Menschen, die das tun, dennoch nicht verurteilen. Aber wir dürfen auch niemanden ermutigen, sich das Leben zu nehmen. Im Gegenteil, wir haben alles zu tun, daß solche Menschen selbst im Schwachsein Halt finden. Das ist immer der bessere Weg. Gott hat gesagt ,Ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein‘. Wir haben kein Recht, einen Menschen aus Gottes Hand zu reißen.

Kusch hingegen macht an dieser Stelle klar, zu was er sich tatsächlich bekennt:

Ich bin bekennendes Mitglied der Nordelbischen Kirche und muß feststellen: Das ist nicht mein Gott. Der Gott, an den ich glaube, kann gar nicht den Willen haben, einen unheilbar und damit hoffnungslos Kranken über dessen Durchhaltevermögen hinaus leiden zu lassen. Es war der katholische Theologe Hans Küng, der mir vor Jahren diesen auch im Sterbenlassen barmherzigen Gott gezeigt hat.

Kusch verkündet also seinen selbstgemachten Gott, der mit der Verkündigung der Kirchekirchlichen Gemeinschaft, zu der er sich formal bekennt, offensichtlich nichts zu tun hat. Als Jurist, der an logisches Denken gewöhnt ist, lässt er diesen Widerspruch stehen, greift aber messerscharf einen anderen auf:

Gemessen an den theologischen Problemen ist die juristische Analyse der Sterbehilfe einfach, weil es hier im Kern nur um das Verhältnis der beiden Rechtsgüter „Leben“ und „Autonomie“ geht. Unsere geltende Rechtsordnung ist eindeutig. Sie gibt dem Rechtsgut „Leben“ absoluten Vorrang und verwehrt selbst dem unheilbar Kranken die Autonomie über sein eigenes Leben. Nach § 216 des Strafgesetzbuches (StGB) wird Tötung auf Verlangen mit Freiheitsstrafe nicht unter sechs Monaten bestraft, selbst wenn der Wunsch des Leidenden noch so dringlich war, endlich erlöst zu werden.

Wie aber ist das Verhältnis von „Leben“ und „Autonomie“ anderswo geregelt? Man muß im Gesetzbuch nur zwei Paragraphen weiter blättern und stößt beim Schwangerschaftsabbruch auf die Fristenlösung des § 218a StGB – seit über zehn Jahren fester und unangefochtener Bestandteil unserer Rechts- und Gesellschaftsordnung. Hier nun werden die Rechtsgüter „Leben“ (des werdenden Kindes) und „Autonomie“ (der werdenden Mutter) in ein völlig anderes Verhältnis gebracht als bei § 216 StGB: Der Autonomie der Schwangeren wird drei Monate lang absoluter Vorrang vor dem Lebensrecht des Embryos eingeräumt.

So also mißt unsere Rechtsordnung mit zweierlei Maß: Die Schwangere darf sogar fremdes Leben zerstören, aber der Todkranke darf nicht die Beendigung seines eigenen Lebens verlangen.

Von der Abtreibung zur Tötung auf Verlangen (und dann zur Euthanasie) ist es nur ein kleiner Schritt. Logisch. Und weder christlich noch humanistisch, sondern barbarisch und egozentrisch.

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Kommentar

  1. Genau die gleichen Gedanken hatte ich zum FAZ-Artikel über Kusch. Das bestätigt wieder mal meine Theorie, dass mit der Abtreibungslegalisierung die Menschenrechte und die Menschenwürde grundlegend ausgehebelt wurden.