Philipp kommentiert:
„Dann habe ich es wohl falsch interpretiert. Aber ich kann immer noch nicht erkennen, wie es anders gemeint sein könnte. Daraus folgt doch direkt, daß Gott sicher (aus der Schöpfung heraus) durch die menschliche Vernunft sicher zu erkennen ist.
Natürlich wird dadurch auch eine objektive Glaubensgrundlage postuliert. Aber durch die ausdrückliche Beschränkung auf die Vernunft auch noch mehr, das ich (und der Papst?!) nicht annehmen können.
Ich kann das nicht anders lesen.“
Ich denke, man muss berücksichtigen, dass hier ein bestimmter Irrtum verworfen werden soll (nämlich der, der eine und wahre Gott, unser Schöpfer und Herr, könne nicht durch das, was gemacht ist, mit dem natürlichen Licht der menschlichen Vernunft sicher erkannt werden).
Wir haben es mit doppelter Verneinung zu tun. Wie sieht denn die Umkehrung dieses Satzes aus? (Denn das wäre ja dann die Wahrheit, nachdem der Irrtum ausgeschieden ist.)
- Wer sagt, der eine und wahre Gott, unser Schöpfer und Herr, könne
nichtdurch das, was gemacht ist, mit dem natürlichen Licht der menschlichen Vernunft sicher erkannt werden: […] - Wer nicht sagt, der eine und wahre Gott, unser Schöpfer und Herr, könne nicht durch das, was gemacht ist, mit dem natürlichen Licht der menschlichen Vernunft sicher erkannt werden: […]
- Wer nicht sagt, der eine und wahre Gott, unser Schöpfer und Herr, könne
nichtdurch das, was gemacht ist, mit dem natürlichen Licht der menschlichen Vernunft sicher erkannt werden: […]
Preisfrage: Sind diese Aussagen allesamt identisch?
Und dann wären da noch mehr Varianten, man könnte zum Beispiel das Wörtchen „sicher“ streichen oder modifzieren…
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Wir haben hier letztlich einen logischen Quadranten mit vier Feldern. Meine These ist: Es handelt sich um vier verschiedene Aussagen, die sich nicht auf eine Aussage und ihr Gegenteil reduzieren lassen.
Das Konzil hat eine davon explizit verworfen und sich zu den übrigen nicht geäußert (jedenfalls nicht an dieser Stelle).
Aussage 1 ist ein positives Bekenntnis zur Möglichkeit, Gott mit dem natürlichen Licht der menschlichen Vernunft sicher erkennen zu können. Das ist als Gegenteil zur verworfenen Irrlehre zu verstehen und damit sicher eine mögliche Glaubensaussage. Außerdem entspricht es der Lehre der Kirche.
Aussage 2 ist der Verzicht auf eine explizite Verneinung der Möglichkeit, Gott mit dem natürlichen Licht der menschlichen Vernunft sicher erkennen zu können. Das ist genau die Feststellung des Konzils: Wer diese Möglichkeit explizit verneint, ist draußen (anathema sit). Wer darauf verzichtet, ist drinnen, wird aber nicht zu einem positiven Bekenntnis verpflichtet (jedenfalls nicht durch diesen Satz).
Aussage 3 ist der Verzicht auf ein positives Bekenntnis zur Möglichkeit, Gott mit dem natürlichen Licht der menschlichen Vernunft sicher erkennen zu können. Und auch das ist möglich (siehe mein Kommentar zu Aussage 2).
Das Konzil lässt letztlich Indifferenz in dieser Frage zu – aber es verwirft explizit die Aussage, Gott könne nicht mit dem natürlichen Licht der menschlichen Vernunft sicher erkannt werden.
Und das ist die Grundannahme des Agnostizismus. Das Konzil sagt also im Grunde hier, dass sich Agnostizismus und Christentum ausschließen – nicht mehr und nicht weniger. Es bekräftigt die Lehre der Kirche, aber schließt nicht diejenigen aus, die sich dazu indifferent verhalten, sondern nur diejenigen, die sie explizit ablehnen. Denn wer sich indifferent verhält, hat ja die Möglichkeit, die Lehre anzunehmen. Wer sie hingegen ablehnt, von dem muss das Konzil Umkehr fordern.
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„Vernunft“? Stimmt, ich argumentiere eher, als stünde da „Verstand“. Meinen großes Latinum ist nun auch über zwei Jahrzehnte her.
Wenn diese Vernunft mehr umfaßt als den Verstand, streiten wir vielleicht mal wieder nur um Begriffe. (Wittgenstein behält immer recht.)