Es hat für jede Organisation fatale Konsequenzen, wenn ihre Vision – und damit auch ihre Mission – verloren geht. Denn die Vision ist quasi der Leitstern am Himmel, sie gibt das Ziel allen Tuns an und informiert somit auch über mögliche Wege zu diesem Ziel. Ohne Vision wird das Tun ziellos, und jede Entscheidung über den Weg wird beliebig. Ohne Vision irren wir im Dunkel umher.
Ein Licht erstrahlt den Gerechten / und Freude den Menschen mit redlichem Herzen. (Ps 97,11)
Der Verlust der Vision wirkt zerstörerisch auf jede Organisation. Ihr Zweck wird unklar, es entsteht eine Leere, die mit allerlei Sekundärem aufgefüllt werden muss. An die Stelle der langfristigen Vision treten kurz- und mittelfristige Ziele und Meilensteine und eine Tendenz zum Selbstzweck. Ohne Vision hat jede Einzelentscheidung das Potential, eine Grundsatzdiskussion loszutreten.
Ausgesprochene oder unausgesprochene Differenzen kommen ans Licht. Entscheidungen werden entweder beliebig und willkürlich oder zu Machtfragen, weil nun jeder Einzelne für sich eine andere Vision entwickelt und danach strebt, diese durchzusetzen. Dieser Prozess ist unendlich mühsam und frisst Unmengen von Energie, was zum Ausbrennen Einzelner oder gar ganzer Teams und Organisationen führen muss.
Entscheidungsprozesse verlängern und verkomplizieren sich, Vertrauen erodiert, Unsicherheit und Angst entstehen, Führungsstrukturen werden intransparent. Führung braucht ein Ziel, sonst wird sie ziellos. Führung ist ein geistlicher Prozess, zu dem wesentlich das aufmerksame Hören, der intensive Austausch und die echte Antwort gehören. Führung ist ein Dienst und sollte als solcher verstanden werden, nicht als Machtausübung.
Die Mission ist nichts anderes als die Wege zum Ziel. Die Wege sind plural, denn so gut wie nie gibt es nur einen Weg zum Ziel. Verschiedene Wege sind legitim und häufig auch notwendig, um das Ziel zu erreichen, dass die Vision angibt. „Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern“ (Mt 28,19) impliziert geradezu eine unendliche Vielzahl von Wegen. Doch ohne Vision wird diese Mission nicht gelingen.
Warum sollen wir überhaupt zu allen Völkern gehen und alle Menschen zu Jüngern machen? Diese Antwort kann nur die Vision geben, und ohne Vision gibt es gar keinen Grund zur Mission. Die Vision ist das Reich Gottes, dessen Grundlage das Doppelgebot der Liebe formuliert: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken.“ Und: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Mt 22,37.39)
Aus diesen beiden Geboten lässt sich die gesamte Vision vom Reich Gottes entfalten. „An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz samt den Propheten.“ (Mt 22,40) Die Liebe zu Gott, die durch nichts eingeschränkt wird, die Liebe zum Nächsten und die Liebe zu sich selbst führen zum Reich Gottes, und diese Nachricht zu allen Völkern zu bringen ist unsere Mission.
Doch ihre Botschaft geht in die ganze Welt hinaus, ihre Kunde bis zu den Enden der Erde. (Ps 19,5)