Ökumene produziert viel Papier. Zumindest mir ist das bislang jüngste Exemplar bislang mehr oder minder verborgen geblieben. Dabei behandelt es, auf der Grundlage der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre (1999), nun den harten Kern – die Ekklesiologie. Communio Sanctorum, so der Titel, ist das Werk einer Arbeitsgruppe im Auftrag der katholischen Deutschen Bischofskonferenz (Stellungnahme) und der Vereinigten Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD). Es erschien im Jahr 2000 praktisch parallel zu Dominus Iesus.
Das Papier scheint vor allem auf protestantischer Seite höchst umstritten zu sein. 2002 publizierte die Kammer für Theologie der EKD eine Stellungnahme, auf die wiederum Heinz Schütte in der Tagespost eine Antwort gab. Die Evangelisch-theologische Fakultät der Uni Tübingen hatte zuvor das Papier in der Luft zerrissen.
Die Professoren […] sehen in ihrer in dieser epd-Dokumentation veröffentlichten Stellungnahme in »Communio Sanctorum« zahlreiche Schwächen und Unschärfen: Der »Ausfall aller entscheidenden reformatorischen Einsichten« führe zu »Fehlbestimmungen des Ursprung der Kirche«, lautet ein Kritikpunkt. Bemängelt wird darüber hinaus ein »programmatisch einseitiges Verfahren« der Verfasser der Studie, spezifisch katholische Bereiche zu präsentieren, mit dem »Ziel evangelische Zugänge zu ihnen zu verschaffen«.
Schütte weist indes auf einen Punkt hin, der uns in den letzten Wochen auch hier stark beschäftigt hat:
Im ökumenischen Dialog wurde katholischerseits ein berechtigtes reformatorisches Anliegen bejaht: Die Heilige Schrift hat unbedingte Autorität; sie ist Maßstab (Kanon!) von Lehre und Verkündigung. Der in apostolischer Sukzession befindliche Episkopat ist an den Kanon der Schrift als der Norm der Kirche gebunden.
Einen „Hilferuf für das protestantische Schriftprinzip“ ließ der evangelische Exeget Ulrich Luz 1997 in der Zeitschrift „Evangelische Theologie“ ergehen: „Auf der Autorität der Schrift allein (ist) nach reformatorischer Auffassung die Kirche gegründet.“ Aber der „auf die Schrift gegründete Protestantismus ist in zahllose Konfessionskirchen, Freikirchen, Bewegungen, Richtungen zerfallen. … Das protestantische Schriftprinzip trug mit seiner Loslösung von der … Autorität des Lehramts den Keim der Auflösung bereits in sich.“ Angesichts der innerevangelisch differierenden Auffassungen drängt sich die Frage auf: Wer beruft sich mit Recht auf die Selbstdurchsetzbarkeit des Wortes Gottes?
Zum Jahr der Bibel (2003) griff Schütte das Thema in der Tagespost noch einmal auf:
Die Kirche hat sich im Kanon (= Maßstab) eine bleibende Norm gesetzt. Sie meinte – geleitet vom Heiligen Geist, wie in Montreal formuliert wurde – sich und ihren Glauben im Spiegel des als Einheit verstandenen Bibelkanons zu erkennen. Daran aber hat man Zweifel geäußert: „Die Einheit der Schrift besteht nicht in der Einheitlichkeit ihrer Lehre“ (J. Baldermann, Einführung in die Bibel, 277). Der neutestamentliche Kanon begründet nach dem evangelischen Exegeten Ernst Käsemann „nicht die Einheit der Kirche“, sondern „die Vielzahl der Konfessionen“ (E. Käsemann, Exegetische Versuche und Besinnungen I, 221). Als diese Auffassung geäußert wurde, machte sich in der Ökumene tiefe Resignation breit, schreibt der evangelische Exeget Ulrich Luz (Evangelische Theologie 57, 29f): Wenn das Neue Testament „unvereinbare theologische Gegensätze“ enthielte (E. Käsemann I, 218) und sich jede Konfession auf Teile der Bibel berufen könnte, wäre alles Mühen um Einheit in der Wahrheit zum Scheitern verurteilt. Bei einer nicht existierenden Lehreinheit der Bibel würden sich Lehrgespräche erübrigen, gäbe es beispielsweise „keine theologische Lehre vom Sakrament des Altars, sondern nur historisch-philologische Hypothesen über das Abendmahl Jesu und der Urkirche“, wie evangelischerseits Hermann Sasse bemerkt (in: G. Niemeier, Lehrgespräch über das Heilige Abendmahl, 295f).