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Hat Leid einen Sinn?

Sinn ist eine knappe Ressource. Das meiste von dem, was Menschen heute tun und sagen, steht latent unter dem Verdacht der Sinnlosigkeit. Dies gilt schon für positiv besetzte Dinge, aber erst recht für die allermeisten Formen von Leid. Wer leidet, der leidet oft noch zusätzlich darunter, dass er sein Leid als sinnlos erachtet.

Oder er verwirft resignierend die Sinnfrage selbst als sinnlos. Ist das geschehen, so sind indes die Weichen gestellt, um in der Folge mit Hilfe der Theodizee-Frage („Warum lässt Gott der Allmächtige sinnloses Leid zu?“) auch die Frage nach Gott abschlägig zu beantworten. Die Logik schnurrt wie an einer Kette ab, der Preis jedoch ist hoch: Man muss sich dann mit einem Leben in Sinnlosigkeit einrichten (oder Sinn-Surrogate verwenden – das Angebot ist groß).

Nun reflektiert Heike Schmoll in der heutigen FAZ dieses uralte Thema von neuem. Interessant ist ihre Interpretation des Schreis Jesu am Kreuz: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15, 34, ein Zitat aus Psalm 22)

„Trotz aller unheilvollen Verherrlichung des Leidens, die es in der Geschichte des Christentums auch gegeben hat, steckt in Jesu Schrei die christliche Antwort auf die Theodizeefrage. Denn hier ist Gott nicht mehr der Angeklagte der skeptischen Fragen, sondern die Antwort liegt in dieser Frage selbst.

Gott verwickelt sich selbst in die Leidensgeschichte der Menschen, er ist ihnen im größten Ausgeliefertsein besonders nah, weil er selbst leidet. Aus dem Leiden der Menschen wird das konkrete Leiden Gottes. Im Vergleich zu philosophischen Gottesvorstellungen der Antike spiegelt sich darin ein völlig neues Gottesverständnis: Die christliche Religion kündet von einer Weltzuwendung Gottes, wie sie zuvor radikaler nicht gedacht worden war.

Jesus stirbt für die Welt. Gott gibt seinen Sohn dahin. In dieser Selbsthingabe wendet sich Gott der Welt mit all ihren Unzulänglichkeiten und ihrem Leiden zu. Deshalb ist das Leiden Christi gegen Georg Büchner der Fels des christlichen Glaubens. Seither ist es unmöglich geworden, die Frage nach Gott zu stellen und gleichzeitig von seiner Hinwendung zur Welt abzusehen. Der christliche Gott ist kein abstraktes Gegenüber, kein ferner Weltenlenker, sondern ein weltzugewandter Gott. Dafür steht das Kreuz Jesu.“

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Kommentar

  1. Sind Gott und Schmerz oder Leiden miteinander vereinbar? Sind Gott und Grausamkeit miteinander vereinbar?

    Wenn ich dem obengenannten Beitrag von Heike Schmoll in der FAZ nachgehe, stoße ich auf diesen Satz:

    „Thomas [gemeint ist der zweifelnde Thomas] sieht Jesu Leiden deshalb nicht mehr als Einwand gegen Gott, sondern als Hinweis auf den Gott, der sich bis auf den tiefsten Punkt des Leidens mit der Wirklichkeit verbindet.“

    Was veranlasst zu dieser Aussage? Hat Gott sich mit Jesus in seinem Leiden verbunden? Folgt nicht auf Jesu Bitten und Flehen vor und während der Kreuzigung nichts als Schweigen? Und wie kann Gott sich mit der Wirklichkeit verbinden, wenn Er sie geschaffen hat und selbst bildet? Ist die Wirklichkeit außerhalb Gottes, getrennt von Ihm?
    Dann wäre aber wiederum keine Verbindung möglich. Was getrennt ist, ist getrennt, was eins ist, ist eins.

    Daher ergibt die Idee von Leiden keinen Sinn und kann selbst nicht wahr sein, wenn in Gott keine Grausamkeit ist. Die Idee eines grausamen Gottes wäre ein Selbstwiderspruch. Gott als das Eine, Das alles umfasst, kann keine Grausamkeit in Sich bergen oder kennen. Die Sätze in selbigem Artikel, „Jesus stirbt für die Welt. Gott gibt seinen Sohn dahin. In dieser Selbsthingabe wendet sich Gott der Welt mit all ihren Unzulänglichkeiten und ihrem Leiden zu.“, enthalten somit Behauptungen, die nicht wahr sein können. Gäbe Gott Seinen Sohn dahin, so müsste Er von Trennung wissen und Selbst grausam sein. Beides aber muss ummöglich sein, wenn Gott das allumfassende Eine ist. Gott kann Sich der Welt nicht zuwenden, weil Er sie nicht kennen kann. Sie kann unmöglich von Ihm kommen noch in irgendeiner Weise wirklich sein. Die Idee, dass Jesus für die Welt stirbt, spricht von der Idee des Opfers, die im Widerspruch zu der Idee Gottes sein muss, auch wenn dies die gängige Deutung des Kreuzestodes ist.

    Deshalb stirbt Jesus nicht für die Welt. Er stirbt zu der Idee dieser Welt, die sein „Werk“ ist, wie es im ersten Johanneskapitel heißt, er überlässt sich selbst ganz, ohne jegliche Verteidigung, ohne jegliches Bestehen auf eine Antwort oder eine bestimmte Lösung dem Geschehen und gibt sich in die Hände Gottes. In dieser vollständigen Selbstaufgabe vollzieht sich die Auferstehung, geschieht diese ungeheure Umwandlung einer sterblichen, begrenzten und angstvollen RaumZeit-Identität zurück in die Unmittelbarkeit und Einheit Gottes.

    Hat Leiden also einen Sinn? Nur den Sinn, den ich ihm gebe. Nach Jesus kann Leiden unmöglich einen Sinn ergeben, weil alles in dieser Auferstehung mitinbegriffen ist, die Idee der Trennung aufgehoben ist und nichts ist als eine längst vergangene Erinnerung an den bösen Traum Adams, aus dem er in der Bibel nie erwacht ist. Ich, in dieser falschen Identität dieses Traumes der Trennung bin ausgestattet mit der Macht der Entscheidung. Welche Bedeutung will ich dem Leiden geben? Mit Jesus habe ich keinen Grund mehr zum Leiden, denn er sagte, „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Meine Perspektive in ihm ist eine völlige Abkehr von jeglicher Perspektive der Welt, ist die der vollständigen Vergebung, der Wehrlosigkeit, die eben darin Stärke ist, dass sie auf Gott und Jesus schaut und nicht auf den Tod, den Angriff und das damit verbundene Leiden. Nur darin findet Heilung statt. Es ist die Heilung meines Geistes, der unmöglich getrennt sein kann von Gottes Geist oder von Jesu Geist. Kann ich aus dieser Perspektive fallen und zurück in die Perspektive des Schlafes sinken, worin ich in meinem Geist getrennt von allem bin, wie wir es von Jesus am Kreuz kennen? Gewiss, und dann bin ich versucht, meiner Wahrnehmung der Trennung und des Leidens einen Sinn beizumessen und nach einer Lösung dafür zu suchen. Dann verfalle ich meinen emotionalen Verstrickungen und rechtfertige in der Idee der Selbstverteidigung Angriff und Grausamkeit. Eine solche Lösung aber muss immer unmöglich bleiben. Leiden ist Leiden, Freude ist Freude, Ganzheit ist Ganzheit und Gott ist Gott.

    Ich kann unmöglich beides erfahren. In meiner Entscheidungsmacht aber, und in der Erinnerung an die Auferstehung kann ich das Leiden nutzen, damit es nicht verschwendet werde, sondern mich nur umso schneller an den Punkt bringe, an dem ich mit Jesus diese Welt überwunden und in vollständiger Vergebung im Licht der Wahrheit aufgelöst habe.

    Das ist die wunderbare und wundergesinnte Perspektive Teilhard de Chardins.