Diktatur des Relativismus (2)

Shrine of the Holy Whapping über die muslimische Aufregung über eine päpstliche Vorlesung:

In thinking about this, I think we see again that now, 1 1/2 years after his election, just as in the case with the upcoming liturgical documents, Benedict is returning to the themes of his opening homily. He said at that time that we lived in a dictatorship of relativism. I honestly wouldn’t have thought to employ the example which Benedict did, but it has certainly caused a stir: secularists are outraged that Benedict dare argue that Christianity is better or true, muslims are outraged that the Pope –the Pope– didn’t affirm that Islam is better or true. Is there a dictatorship of relativism? Benedict may very well have purposely let this vivid quote fly, just to prove precisely this point.

Still no one else is talking about the fact that a Turkish Muslim killed a German Catholic priest the very day that Benedict critized violence in the name of religion…

Diktatur des Relativismus

Daniel Deckers im morgigen Leitartikel der FAZ:

Für die Selbstbeschränkung der Vernunft fand der Papst in den vergangenen Tagen viele einprägsame Ausdrücke. Er sprach von „Schwerhörigkeit gegenüber Gott“ und der „Verkürzung des Radius der Vernunft“ und verdeutlichte so in mal einfacher, mal hoher Sprache, was er in den zurückliegenden Jahren immer mit dem Wort von der „Diktatur des Relativismus“ bezeichnet hatte.

Immer? Ich kannte das Wort bislang nur aus seiner Homilie in der Missa pro eligendo Romano Pontifice.

Christoph Kardinal Schönborn und der fundamentalistische Individualismus

In einem klugen Interview mit dem österreichischen Magazin profil verweist Christoph Kardinal Schönborn zunächst mit einem Satz seine Chancen auf die Nachfolge Benedikts ins Reich der Fabel.

profil: Sie werden in so gut wie jeder internationalen Liste der Papstkandidaten genannt. Wie erklären Sie sich das?
Schönborn: Mit der Fantasielosigkeit der Papstberichterstattung.

Doch sagt er im selben Interview auf die nächste Frage hin auch Sätze, die ihn nachgerade papabile erscheinen lassen:

profil: Viele Themen kommen auf den nächsten Papst zu: von Priestermangel und Zölibat über Sexualmoral bis zu Ökologie, Armutsbekämpfung und Ökumene. Was sind die vordringlichsten Aufgaben?

Schönborn: Den Menschen den Weg zu Gott aufzuschließen, ihnen beizustehen und ihre Würde zu verteidigen. Und das in einer Welt, in der sich praktisch überall die Stellung der Kirche dramatisch verändert, ob durch den Verlust einstmaliger gesellschaftlicher Vorrangstellungen im Norden oder durch das Anwachsen zu einer gesellschaftlich immer bedeutenderen Größe in vielen Ländern der Dritten Welt. Es geht um die schwierige Aufgabe, in einer Welt, die von so vielen Seiten bedroht wird – Wirtschaftskrise, Kriegsgefahr im Mittleren und Fernen Osten, Christenverfolgung und Fundamentalismus, auch der fundamentalistische Individualismus im Westen –, Gutes zu tun und die Stimme der Liebe zu erheben, die – sofern sie eine unverwechselbar katholische Stimme sein will – vielerorts wieder und neu das Vertrauen der Menschen gewinnen muss.

Ist der fundamentalistische Individualismus für Schönborn, was seinerzeit für Ratzinger die Diktatur des Relativismus war?

Relativierungsge- und verbote

Kurz vor seiner Wahl zum Papst prangerte Joseph Kardinal Ratzinger die Diktatur des Relativismus an:

Einen klaren Glauben nach dem Credo der Kirche zu haben, wird oft als Fundamentalismus abgestempelt, wohingegen der Relativismus, das sich »vom Windstoß irgendeiner Lehrmeinung Hin-und-hertreiben-lassen«, als die heutzutage einzige zeitgemäße Haltung erscheint. Es entsteht eine Diktatur des Relativismus, die nichts als endgültig anerkennt und als letztes Maß nur das eigene Ich und seine Gelüste gelten läßt.

In den letzten Tagen hat sich gezeigt, dass auch in einer Diktatur des Relativismus nicht alles relativiert werden darf. Ja, es genügt schon ein einfacher, schlichter Vergleich, um die geballte Empörungsmaschinerie von Zentralrat der Juden bis Claudia Roth anzuwerfen. Bischof Walter Mixa hatte am Aschermittwoch die Zahl von sechs Millionen ermordeten Juden im Zusammenhang mit den (nach Expertenschätzungen) mehr als neun Millionen Abtreibungen in den vergangenen Jahrzehnten genannt.

Ist das eine „Relativierung des Holocaust“ oder nicht, wie sich das Bistum zu erklären beeilte? In jedem Fall ein völlig legitimer und sinnvoller Vergleich, selbst wenn Mixa seine Äußerungen nicht als Vergleich verstanden wissen wollte.

Der Vergleich muss provozieren, weil er gleich zwei Tabus der deutschen Gesellschaft bricht. Er kratzt an der Zivil- und Staatsreligion, zu der sich die Erinnerung an die Ermordung der europäischen Juden gewandelt hat. Und er stellt das durch Grundgesetz und Strafgesetzbuch nicht gedeckte, aber de facto durchgesetzte Menschenrecht auf Abtreibung in Frage.

Weshalb sich mit dem Zentralrat und Claudia Roth auch gerade die beiden zentralen Sachwalter dieser Tabus empören.

Unsortiert

Ein paar ungeordnete Gedanken zu den Diskussionen der letzten Tage:

Das Christentum ist ja nicht interessant wegen seiner Ethik oder Moral. Im Gegenteil erhebt die Sittenlehre selbst keinerlei Anspruch auf Originalität, sondern versteht sich als prinzipiell der natürlichen Vernunft zugänglich. Niemand wird Christ wegen der christlichen Sittenlehre.

Und doch: Sie ist eine konzise und von vorne bis hinten durchdachte Antwort auf die Frage „Wie sollen wir leben?“. Sie beschreibt ein Ideal, immer im Wissen um die Fehlerhaftigkeit der allermeisten Menschen, die sich diesem Ideal allenfalls asymptotisch annähern können.

Der Verweis auf eine Realität, die von diesem Ideal abweicht, hilft dabei keinen Zentimeter weiter. Welchen Sinn hätte es, das Ideal der Realität anzunähern? Die Realität würde ohne Zweifel sofort wieder den gewohnten Abstand zum Ideal annehmen. Es wäre nichts gewonnen, aber viel verloren: Die Welt würde nicht besser, sondern schlechter.

Beispiele dafür sind Legion. Zehn Jahre nach Einführung der geltenden Abtreibungsgesetzgebung sind nach einer Emnid-Umfrage 49 Prozent der Bundesbürger der Meinung,

die geltenden Gesetze erlaubten Abtreibungen bis zum dritten Monat ohne jede Einschränkung. Unter den 14- bis 29-Jährigen sitzen diesem Irrtum sogar 63 Prozent auf. Dagegen wussten nur 28 Prozent, dass Abtreibungen grundsätzlich gegen das Gesetz verstoßen, aber unter bestimmten Voraussetzungen nicht bestraft werden. [Rheinischer Merkur]

Anders als seinerzeit intendiert, sind die Abtreibungszahlen nicht gesunken, sondern relativ zur Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter sogar gestiegen. Hier hat die Realität auf brutale Weise den Abstand zur gesenkten Norm wiederhergestellt.

Hinzu kommt, dass sich nach diesem Muster alles und jedes rechtfertigen lässt. Wenn der Abstand zwischen Ideal und Realität nicht ertragen werden kann, sondern das Ideal auf das Maß der Realität reduziert werden muss, dann gibt es keine gültigen Maßstäbe. Anything goes. Diktatur des Relativismus, anyone?

Das Leben besteht daraus, aus einer Fülle von Möglichkeiten Entscheidungen zu treffen – und damit die Zahl künftiger Möglichkeiten zu verringern. Mit jedem Lebensjahr steigt die Zahl der getroffenen Entscheidungen und sinkt die Zahl der offenen Möglichkeiten. Nur weil heute die meisten Menschen der westlichen Hemisphäre mindestens in jungen Jahren eine nie gekannte Vielzahl von Möglichkeiten haben, die sie niemals auch nur annähernd überblicken können, ist dieses Grundgesetz des Lebens nicht mehr so deutlich zu erkennen wie in früheren Zeiten.

Aber es gilt dennoch. Und es ist ein kollektives wie individuelles Versagen, buchstäblich lebensnotwendige Entscheidungen aufzuschieben oder ganz zu verweigern – angesichts der Fülle von Möglichkeiten und der damit verbundenen Schwere der Entscheidungen. Die Zahl der Möglichkeiten wird auch ohne unser Zutun mit Zeitablauf kleiner, aber diese Form der Passivität vergibt und vertut sie unnötigerweise.

Wie bei einer Pyramide, die sich zur Spitze hin verjüngt, gibt es am Ende des Weges nur noch ganz wenige Möglichkeiten. Das Allermeiste ist entschieden, unzählige Möglichkeiten sind keine mehr – aber das Wenige, was dann bleibt, ist der Gipfel. Und der ist nicht ohne einen hohen Preis zu erreichen.

Zölibat und Ehe haben hier viel mehr gemeinsam, als es auf den ersten Blick scheint.

Girard

Mit dem Wort von der Diktatur des Relativismus hatte Joseph Ratzinger in seiner letzten Predigt als Kardinal schon seine päpstliche Agenda anklingen lassen. Nun bin ich erstaunt, dass ausgerechnet die Zeit (namentlich Thomas Assheuer) bereits vor Ostern die Dinge ganz ähnlich auf den Begriff gebracht hatte, als sie von dogmatischem Relativismus sprach.

In der gleichen Ausgabe der Wochenzeitung war ein Interview mit René Girard zu lesen. Der Religionsphilosoph hat sich nach der Wahl Benedikts XVI. in einem (seinerzeit von Ralf entdeckten) Welt-Interview mit der an Rüttgers gemahnenden Überschrift „Das Christentum ist allen anderen Religionen überlegen“ erneut zu Wort gemeldet:

„Der Relativismus greift immer weiter um sich. Und es gibt immer mehr Leute, die jede Art von Glauben hassen. Besonders an den Universitäten ist das der Fall – und es schadet dem intellektuellen Leben. Weil es keine objektive Wahrheit gibt, werden alle Wahrheiten gleich behandelt – und das zwingt einen, banal und oberflächlich zu bleiben. Man kann sich nicht wirklich einer Sache verschreiben, für etwas sein – auch nicht für kurze Zeit. Wie Ratzinger glaube ich jedoch fest an die Hingabe an eine Sache. Wir sind beide davon überzeugt, daß die Verantwortung verlangt, daß wir uns einer Position verschreiben und sie zu Ende führen.“

Ich kann hier nicht alles zitieren, was zitabel wäre. Zu unserem vorgestrigen Thema sagt Girard:

Der Postmodernismus ist drastisch, wenn er sagt, es gebe keine absoluten Werte, keine allgemeingültige Wahrheit, und daß Sprache die Wahrheit niemals wiedergeben kann. Wie auch Papst Johannes Paul in der Enzyklika, die Sie erwähnten, nimmt Papst Benedikt den Kampf auf, indem er gegen diese Mode des Unglaubens in der heutigen Welt und besonders in Europa angeht. Wie Johannes Paul II weiß er aus persönlicher Erfahrung, daß eine Gesellschaft ohne Religion vor die Hunde geht. Und er zögert nicht, dies zu sagen. Ich hoffe, diese Botschaft findet ihren Nachhall. Seine Herausforderung des Relativismus ist nicht nur für die Kirche und Europa wichtig, sondern für die ganze Welt.

Eindeutig auch seine Antwort auf die Friedman-Frage:

Warum sollte man Christ sein, wenn man nicht an Christus glaubt? Paradoxer Weise sind wir in unserem Relativismus derart ethnozentrisch geworden, daß wir es in Ordnung finden, wenn andere – aber nicht wir selbst – ihren Glauben als überlegen ansehen!

René Girard: Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz. Eine kritische Apologie des Christentums. Hanser, München. 253 S., 21,50 EUR.

Das Heilige und die Gewalt. Fischer, Frankfurt/M.

Metz

Theodor Frey verdanke ich den Hinweis (dort mehr) auf ein Interview mit Johann Baptist Metz in der Wochenendausgabe der Süddeutschen. Auszüge:

SZ: Warum sieht man Ratzinger ausgerechnet in Deutschland so kritisch, nennt ihn gar einen Fundamentalisten?

Metz: Durch die „Liberalisierung“ der Theologie bei uns, die häufig provinzieller wirkt, als sie sich selbst eingestehen mag, hat ein ohnehin historisch angestauter antirömischer Affekt noch zugenommen. Aus diesen Grabenkämpfen mit Rom herauszukommen, war übrigens das Motiv meiner Mitarbeiter, als sie 1998 Ratzinger nach Ahaus einluden.

Benedikt XVI. ist kein Fundamentalist, denn Fundamentalisten reflektieren ihre Überzeugungen nicht. Die, die ihn einen Fundamentalisten nennen, sind vermutlich in seinen Augen selbst solche — Fundamentalisten der Beliebigkeit, gehorsam jener „Diktatur des Relativismus“, die er in seiner Rede vor dem Konklave anprangerte. Treffender scheint es mir jedoch, von einem „süßen Gift“ des Relativismus zu sprechen. Dieses Gift will immer mehr unsere Bereitschaft lähmen, etwas für so lebenswichtig, ja für so heilig zu halten, dass wir es weder im modernen Diskurs noch im postmodernen Pluralismus der Stimmen und Stimmungen zur Disposition stellen. […]

SZ: Ihr bekanntestes Wort ist wohl jenes von der „Gotteskrise“. Heute spricht man oft von einer Renaissance des Glaubens. Ist die Gotteskrise Geschichte?

Metz: Die Gotteskrise ist nicht identisch mit einer Religionskrise, sie ist sogar oft in eine religionsfreundliche Atmosphäre getaucht: Religion als Stimmung wird bejaht, Gott als Anspruch aber verneint. Auch diese Verneinung ist dann aber nicht kategorisch gemeint wie noch im Sinne der großen, leidenschaftlichen Atheismen. Der Atheismus in Zeiten der Gotteskrise ist banal geworden.

Überlegenheit

Respekt, Jürgen Rüttgers! Der nordrhein-westfälische CDU-Spitzenkandidat hat der gnadenlosen Fragenmaschine seines Parteifreundes Michel Friedman sauber standgehalten. Spiegel Online dokumentiert den Dialog und die Statements der üblichen Verdächtigen (die ich mir erspare):

Friedman: Zum gleichberechtigten Respekt aller Kirchen sagt Benedikt XVI: „Die katholische Kirche ist allen anderen Kirchen überlegen.“ Hat er Recht?

Rüttgers: Er sagt, dass das, was er glaubt, und das, was seine Kirche glaubt, das Richtige ist. Und ich finde, das darf er auch.

Friedman: Ich sage noch einmal: Die katholische Kirche sei allen anderen Kirchen überlegen.

Rüttgers: Ich hab das schon verstanden. Er sagt, das ist das Richtige, und wenn’s das Richtige ist, dann muss er zwangsläufig sagen, dass das andere nicht richtig ist.

Friedman: Und was sagen Sie?

Rüttgers: Ich glaube, dass wir wieder lernen müssen, dazu zu stehen, dass wir wieder etwas für wahr und etwas für unwahr halten. Ich bin Katholik und ich glaube, dass unser christliches Menschenbild das Richtige ist und nicht vergleichbar ist mit den anderen Menschenbildern, die es anderswo auf der Welt gibt.

Friedman: Aber wir sprechen von dem Begriff „überlegen“. Ist die katholische Kirche und ihr Menschenbild anderen Religionen überlegen?

Rüttgers: Ich glaube, dass es das Richtige ist, wenn Sie wollen auch „überlegen“.

Friedman: Was bedeutet das denn eigentlich für einen Protestanten, einen Juden oder einen Moslem, wenn Sie sagen, die katholische Religion ist den anderen überlegen?

Rüttgers: Das bedeutet, dass er von seiner genauso überzeugt sein kann und dass man auf der Basis dann anfängt miteinander zu reden.

Ist das die Diktatur des Relativismus?

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