Wahlkampf

Impressionen aus der Frankfurter Provinz.

Thomas Seiterich-Kreuzkamp macht dem Namen der Zeitschrift, für die er arbeitet, alle Ehre an diesem Abend. „Publik Forum, Zeitschrift kritischer Christen” heißt sie. Daß seine Analyse zur Wahl Benedikts XVI. Widerspruch hervorrufen würde, wird ihm klar gewesen sein. Der Dompfarrsaal ist voll, die Zuhörer haben sich den Dienstag abend freigehalten. Irgendwann platzt einem Zuhörer der Kragen: Arrogant sei Seiterich-Kreuzkamp, ein Populist.

Der Redakteur hatte zuvor bei der Diskussion über Bendedikt XVI. seine Sicht der Dinge auf den Punkt gebracht: Er habe sich „nicht gefreut” über den neuen Papst. Es hätte etliche Leute gegeben, die bessere Päpste geworden wären, etwa Kardinal Martini; diese Gruppe habe sich aber vor dem Konklave und während der Wahlversammlung zersplittern lassen, sie sei auf die Wahlkampfstrategie Ratzingers hereingefallen, fügt er unter Hinweis auf „seriöse Vatikanbeobachter” hinzu. „Ratzinger hat zielstrebig auf sein neues Amt hingewirkt.” [FAZ]

Neuordnung

Georg Muschalek in der Tagespost über den Umbau der Pfarrpastoral:

„Wer könnte den Rückgang der verfügbaren Priester durch starke Schrumpfung der Kandidaten für das Amt und durch Ausscheiden der alten Priester leugnen? Ein genauerer Blick auf die Verhältnisse ergibt ein anderes Bild. Es ist in der letzten Zeit mehrfach nachgewiesen worden, dass im Verhältnis zur Zahl der katholischen Christen, die am sakramentalen Leben und an der Glaubensvermittlung teilnehmen, die Situation günstiger ist als vor etwa fünfzig Jahren. Freilich ist durch die Ausdünnung des geographischen pastoralen Raumes die Tatsache geschaffen worden, dass nicht mehr jede bisherige Pfarrei einen eigenen Priester als Pfarrer am Ort haben kann. Dies ist aber nicht dasselbe wie die Annahme, dass es für die aktiven katholischen Christen zuwenig Priester gäbe. Bei den hier wie anderswo geplanten Reformen geht es ja nicht um Missionsaufgaben in einer schon wieder heidnisch werdenden Umwelt, also um Aufgaben, die immer die Anzahl der Priester übersteigen – jedenfalls wird es nicht gesagt, dass dies so gesehen wird – , sondern um die Neuordnung der regulären Pfarrpastoral. Also würde nur die Aufgabe verbleiben, die Regionen der Pfarrseelsorge neu zu bestimmen und die Gläubigen mit dieser Veränderung vertraut zu machen.“ [via credo ut intelligam]

Lange Zeit war es selbstverständlich, dass nicht jeder Ort und jede Kirche einer eigenständigen Pfarrei mit eigenem Pfarrer zugeordnet war. Hier mal ein auf die Schnelle zusammengegugeltes Beispiel:

Schon im 13. Jahrhundert bildeten die Dörfer Zeltingen, Rachtig, Erden und Lösnich eine Großpfarrei als Verwaltungseinheit und blieben bis ins 19. Jahrhundert zusammen. Erst 1803 gliederten sich die Dörfer als eigenständige Pfarreien. Heute nach 200 Jahren haben sie zwar noch ihre Selbstständigkeit als Pfarrei, werden aber in einer Seelsorge-Einheit unter einem Pfarrer verwaltet.

Das relativiert doch so manche Aufregung erheblich.

In unserer norddeutschen Diaspora ist die Situation noch viel krasser: Viele Gemeinden und Kirchen entstanden erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als die Zahl der Katholiken erst durch die Vertriebenen und bis heute durch Aussiedler aus Polen und Russland auf etwa das Dreifache wuchs. Es war der Vorgänger unseres im vergangenen Jahr emeritierten Bischofs, der als größter Bauherr in die Bistumsgeschichte einging. So mancher von ihm geweihte Bau ist inzwischen schon wieder dem Erdboden gleich.

Sollten Katholiken heiraten?

Diese Frage stellt Shrine of the Holy Whapping und argumentiert in etwa so: Wenn Staaten wie Spanien, Kanada und die Niederlande die Ehe so umdefinieren, dass es keinen Unterschied zwischen einer Ehe und einer homosexuellen Verbindung gibt – dann riskieren katholische Ehepaare, dass sie mit ihrer (staatlichen) Eheschließung dieser Neudefinition implizit zustimmen.

Interessanter Punkt. Dieser Konflikt ist in Deutschland, darauf weist einer der Kommentare dort hin, nicht neu. Schließlich hat Bismarck die staatliche Ehe überhaupt erst eingeführt, um das sakramentale vom zivilen Eheverständnis zu trennen (um es zurückhaltend zu formulieren, vgl. Kulturkampf).

Kinder kriegen, Kinder sein

Da hat er ja etwas angestoßen, der gute Frank Schirrmacher, seines Zeichens Chefdemograph des FAZ-Feuilletons. Sind demographische Fragen erst einmal in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt, so sprudelt eine schier unerschöpfliche Quelle neuer Einsichten. So heute in einer Glosse:

„Sorgen machen müssen sich nun die jungen Leute, die hinter der älteren Dame am Geldautomaten stehen und sich neidvoll fragen, warum sie immer in den Miesen sind. Sie sollen, so fordert es der geballte Talkshowbetrieb von ihnen, gleichzeitig hemmungslos konsumieren, auf daß das Bruttosozialprodukt nur so kracht, mehr Mehrwertsteuer zahlen, damit das Sozialsystem erhalten bleibt, ‚Kinder kriegen‘, wie es die Bundesregierung nennt, in großer Zahl für den Lebenssinn und mit der Rentenformel im Hinterkopf und außerdem noch große Summen für die späten Tage beiseite legen. Das ist für die Betroffenen natürlich kein Grund, in Selbstmitleid zu verfallen. Im Gegenteil, das ist das pralle Leben, da hat man zu tun, es wird nicht langweilig. Und bisher hat es doch ganz gut funktioniert. Die in der Mitte des Lebens aber spüren Fliehkräfte in beide biographische Richtungen: Sie werden einerseits nicht älter, weil sie es sich auch Ende Dreißig, Mitte Vierzig nicht abgewöhnen können, sich ’superjung‘ zu fühlen und ungemein attraktiv für die wenigen nachwachsenden Zwanzigjährigen, weil es doch so schön ist in der Mischzone von Infantilität und Reife und das Kind, das in jedem steckt, als Hedonist viel bequemer in Erscheinung tritt als in gezeugtem Zustand.“ [via Perlentaucher]

Es lohnt sich, die ganze Glosse zu lesen.

Thomas Meinecke

Kennen Sie im heutigen Deutschland Konservative, die Sie überzeugen?

Ich bin ja ein Anhänger des jetzt zum Papst gewählten Kardinal Ratzinger. Was er konservieren möchte, sind Dogmen, aber Dogmen sind nicht per se konservativ. Auch die Linke kennt Dogmen! Mich hat dagegen das Undogmatische immer gereizt. Es kommt also darauf an, was konserviert werden soll. Mir scheint, der Begriff befindet sich gerade in Auflösung. Die einen meinen damit so ein schwarz-grünes Gemenge aus Erhalten von Natur und Werten, und andere meinen damit wirklich etwas Reaktionäres, also auch einen Schritt hin zu zynischen Politikstrategien. Ich kann den Begriff gar nicht genau fassen, ehrlich gesagt.

Passt die Kategorie des Konservativen denn zu Ratzinger, oder spielt sich Ihre Bewunderung jenseits dessen ab?

Ich nehme zur Kenntnis, dass er als konservativ bezeichnet wird. Ich weiß aber nicht, ob es konservativ ist, wenn die katholische Kirche im Beharren auf bestimmte Rituale sich weigert, eine ’sozialdemokratische‘ Öffnung einzuleiten. Die Religion ist ein ganz anderes Geschäft, da greift der Gegensatz von konservativ und progressiv nicht. Ich bin jedenfalls keiner, der sagt, die Kirche müsse sich politisch engagieren. Denn dann müsste sie natürlich progressiv sein. Das Faszinosum hat eher mit dem ‚Popistischen‘ des Katholizismus zu tun, dem Opulenten, was man auch mit Namen wie Madonna oder Martin Scorcese in Verbindung bringen kann. Wenn man aber wirklich in die Theologie einsteigt – Transsubstantiationslehre, Unbefleckte Empfängnis, der Marienkult, das Weibliche in der Eucharistie -, dann kommt man sogar zu einer interessanten Verbindung von fortschrittlicher Theorie (was für mich immer ‚feministische‘ Theorie bedeutet) und mittelalterlichen, zeichentheoretischen Überlegungen, die in den Klöstern geleistet wurden. Die Kirche bedeutet für mich eine intellektuelle Fasziniation.

Sie stehen demnach außen und bewundern das barocke Theater der Kirche?

Das Sakrament der Ehe habe ich jedenfalls noch nicht geschändet! (lacht) Sagen wir mal so: Ich gehe nicht am Sonntag in die Kirche, aber ich finde es ganz schön, dass ich hineingehen könnte. Nachdem mir gesagt wurde, ich müsse nicht mehr ständig beichten, lasse ich mir gelegentlich sogar wieder die Hostie verabreichen.

Aus der Reihe „Sind Sie konservativ?“ der Frankfurter Rundschau

Demographische Bemerkungen

Pugnus zitiert Bernd Wagner (aus seinem Politischen Feuilleton bei Deutschlandradio Kultur):

„So oft das Thema der Überalterung unserer Gesellschaft angesprochen wurde, so schnell wurde es immer wieder verdrängt, denn es berührt das wohl wichtigste unserer zahlreichen Tabus, das Sterben. Oder wie anders soll man den Zustand eines Landes bezeichnen, in dem jede Kindergeneration um ein Drittel kleiner ist als die vorausgegangene und die Bevölkerungszahl demzufolge bis zur Mitte des Jahrhunderts von 80 auf voraussichtlich 50 Millionen sinken wird? Dass in diesem Zusammenhang vor allem die finanziellen Folgen, etwa die Sicherheit der Renten, diskutiert werden, sagt einiges über die Ursachen dieser Entwicklung aus – unsere Fixierung auf materielle Interessen.“

Also doch

Wie die Netzeitung berichtet, sei

ein Treffen zwischen dem Papst und führenden Vertretern der Ökumene in Deutschland «von Anfang an geplant» gewesen,

so der Generalsekretär des Weltjugendtags, Heiner Koch.

Namentlich nannte er Präses Schneider sowie den Metropoliten Augoustinos als Vertreter der griechisch-orthodoxen Kirche. Dass eine solche Begegnung stattfinde, sei den Organisatoren des Weltjugendtags ein großes Anliegen. Wegen der Planungen des Vatikan könnten die offiziellen Einladungen jedoch erst kurzfristig verschickt werden.

Doch kein Zeichen. Much Ado about Nothing.

Wirtschaftsimperium

Friedhelm Schwarz schreibt ein Buch über Kirche als Wirtschaftsfaktor und bringt eine Reihe bekannter Topoi, wenn er zum Beispiel

kritisiert, dass das kirchliche Wirtschaften immer noch nicht transparent genug ist. Er zeigt, dass es in dem historisch gewachsenen Dickicht viele ineffiziente Doppelstrukturen gibt, welche die gegenwärtige Finanzkrise der Kirche mit verursacht haben. Schwarz wundert sich auch darüber, dass Kirchenangestellte auf einen Teil ihrer Arbeitnehmerrechte verzichten müssen und dass dies keiner zum Skandal macht. „Ich würde mir wünschen, dass die Kirche sich zu ihren wirtschaftlichen Aktivitäten bekennt und diese so handhabt, wie man wirtschaftliche Dinge zu handhaben hat“, schreibt Schwarz schließlich als Fazit.

Das bleibt als These aber dünn und blass, vor allem, weil man sich von einem Wirtschaftsfachmann gewünscht hätte, dass er sagt, wie seiner Meinung nach die Kirche „aus ihrem christlichen Auftrag“ heraus „ganz weltliche, ökonomische Pflichten erfüllen“ sollte. Doch hier liegt die große Schwäche des Buches: Es analysiert nicht, ordnet nicht ein, gewichtet nicht. Es bleibt über weite Strecken eine Stoffsammlung, die gegen Ende wirr wird und von der katholischen und evangelischen Arbeitnehmer-Bewegung über die Finanzlage im katholischen Bistum Aachen und kirchliche Stellungnahmen zur Agenda 2010 zur Initiative Kirche von unten hüpft. Frei nach dem Motto: Das hat alles irgendwie mit Geld, Kirche und Macht zu tun. [SZ-Rezension]

Dass Kirchenangestellte auf einen Teil ihrer Arbeitnehmerrechte verzichten müssen, ist so wenig ein Skandal wie die Tatsache, dass zum Beispiel für Journalisten ähnliche Einschränkungen gelten. Das Stichwort lautet Tendenzbetrieb. Ein Unternehmen, das als solcher gilt, darf von seinen Angestellten mehr Konformität fordern als andere. Und darf man nicht von Fachbuchautoren verlangen, dass sie gute Bücher schreiben?

Friedhelm Schwarz: Wirtschaftsimperium Kirche. Der mächtigste Konzern Deutschlands, Campus Verlag, Frankfurt 2005, 24,90 Euro.

Die SZ nennt weitere Bücher zum Thema:

  • Carsten Frerk: Finanzen und Vermögen der Kirchen in Deutschland, Alibri-Verlag, Aschaffenburg 2001, 435 Seiten, 24,50 Euro.
    Das Buch ist der faktenreiche, aber letztlich erfolglose Versuch des Kirchenkritikers Frerk zu ergründen, wie reich die Kirchen wirklich sind. Fleißarbeit für alle, die es noch genauer wissen wollen.

  • Norbert Feldhoff: Kirchensteuer in der Diskussion, Köln 1996, 22 Euro.
    Der ehemalige Generalvikar des Erzbistums Köln und kirchliche Finanzexperte erklärt aus Innen-Sicht, wie die Kirche mit ihrem Geld und ihrem Vermögen umgeht. Die Zahlen sind allerdings sehr in die Jahre gekommen.